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BFH, 21.07.1955 - IV 165/54 U - Lohnsteuerhaftung der Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft im Baugewerbe; Betätigung der Arbeitsgemeinschaft als solcher als Arbeitgeber; Verpflichtung zur Zusammenwirkung zu einem gemeinsamen Zweck als Voraussetzung für das Entstehen einer Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts
Bundesfinanzhof
Urt. v. 21.07.1955, Az.: IV 165/54 U
Lohnsteuerhaftung der Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft im Baugewerbe; Betätigung der Arbeitsgemeinschaft als solcher als Arbeitgeber; Verpflichtung zur Zusammenwirkung zu einem gemeinsamen Zweck als Voraussetzung für das Entstehen einer Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts
Fundstellen:
BFHE 61, 144 - 147
BStBl III 1955, 254
DB 1955, 864 (Volltext mit amtl. LS)
BFH, 21.07.1955 - IV 165/54 U
Amtlicher Leitsatz:
Eine Lohnsteuerhaftung der Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft im Baugewerbe nach § 113 AO ist nur gegeben, soweit die Arbeitsgemeinschaft als solche Arbeitgeber geworden ist.
Zusammenfassung:
Eine Lohnsteuerhaftung der Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft im Baugewerbe nach §113 AO ist nur gegeben, soweit die Arbeitsgemeinschaft als solche Arbeitgeber geworden ist.
Tatbestand
1
Zwischen der Beschwerdeführerin (Bfin.), einer Baustofffirma, und dem Bauunternehmer X. wurde am 13. Dezember 1951 der folgende Vertrag geschlossen:
"§ 1.
Zur gemeinsamen Ausführung von Bauaufträgen wird zwischen beiden Firmen eine Arbeitsgemeinschaft gebildet, in welcher die Firma (Bfin.) die kaufmännische - federführende - und die Firma X. die technische Leitung übernimmt.
§ 2.
Beide Firmen stellen das vorhandene Gerät und Gerüst ohne Sonderberechnung zur Verfügung. Neuangeschaffte Maschinen, Gerät und Gerüst gelten - sofern nichts anderes vereinbart - als gemeinsames Eigentum und werden nach Auflösung der Arbeitsgemeinschaft entsprechend aufgeteilt.
§ 3.
Von den beteiligten Firmen erhalten die Firma X und die Firma (Bfin.) je ein Drittel Gewinnbeteiligung, während der als Bauführer tätige Kurt X als Gehalt das restliche Drittel erhält. Entnahmen können nur im Rahmen des zu erwartenden Gewinns gemacht werden. Das der Firma X. zustehende Drittel soll in erster Linie zur Abdeckung früherer Verbindlichkeiten der Firma X. Verwendung finden.
§ 4.
Die für die Bauaufträge benötigten Baustoffe werden unter Voraussetzung der Konkurrenzfähigkeit von der Firma (Bfin.) geliefert.
§5.
Dieses Abkommen beginnt mit dem am 16. November 1957 erteilten Auftrag der Verwaltungstreuhandgesellschaft über vier Doppelhäuser in Adorf. Der Vertrag gilt für unbestimmte Zeit und kann von jeder der vertragschließenden Parteien unter Einhaltung einer sechswöchigen Kündigungsfrist jeweils zum Quartalsende gekündigt werden."
2
Dieser Vertrag wurde bereits am 29. Dezember 1951 durch die folgende Regelung ersetzt:
"Vorbemerkung: Die Firma X., deren Inhaber selbst Hirnverletzter ist, hat begründete Aussicht, laufend umfangreiche Bauarbeiten für den Bund hirnverletzter Kriegs- und Arbeitsopfer e. V. auszuführen. Bauträger des Bundes ist eine Verwaltungstreuhand-GmbH in Y.
§ 1.
Um der Firma X., die verschuldet ist, die Durchführung der Bauarbeiten zu ermöglichen und sich dadurch wieder zu sanieren, verpflichtet sich die Firma (Bfin.), Zwischenkredite zu besorgen und eine Regelung mit der Allgemeinen Ortskrankenkasse zu treffen.
§ 2.
Da der gesamte Geldverkehr über ein Sonderkonto (Bfin.) bei der Z. Bank läuft, sind bzw. werden die jeweiligen Bauaufträge aus banktechnischen Gründen auf eine Arbeitsgemeinschaft Bfin.-X. ausgestellt. Dieses hat lediglich formale Bedeutung, da eine Baustoffhandlung infolge Fehlens sämtlicher Voraussetzungen - die Gewerbeerlaubnis, Preisgestaltung usw. - für die Ausführung von Bauarbeiten nicht haften kann.
§ 3.
Die Firma (Bfin.) haftet daher nicht für Verbindlichkeiten, die die Firma X. im Rahmen dieser Bauaufträge eingeht, da die jeweiligen Rechnungsbeträge nach Abzug der eigenen Rechnungen Bfin., der Allgemeinen Ortskrankenkassen-Beiträge und der zur Verfügung gestellten Kredite an die Firma X. ausgezahlt werden. Bis zur restlosen Abdeckung der von der Firma (Bfin.) zur Verfügung gestellten bzw. garantierten Beträge tritt daher die Firma X. sämtliche Forderungen, die sie an die Verwaltungstreuhand-GmbH zu stellen hat, an die Firma (Bfin.) ab.
§ 4.
Als Gegenleistung für die Kredit- und Materialhilfe verpflichtet sich die Firma X., neben einer banküblichen Verzinsung sämtliche benötigten Baustoffe unter Voraussetzung der Konkurrenzfähigkeit von der Firma (Bfin.) zu beziehen.
§5.
Mit diesem Vertrag sind sämtliche frühere Verträge und Vereinbarungen aufgehoben. Dieser Vertrag kann von jeder der vertragschließenden Parteien mit vierwöchiger Frist jeweils zum Monatsende gekündigt werden."
3
Das Finanzamt war der Auffassung, daß zwischen der Bfin. und der Firma X. vom 13. Dezember 1951 bis zur Beendigung der Bauarbeiten am 7. Juli 1952 eine Arbeitsgemeinschaft bestanden habe, mithin eine Gesellschaft bürgerlichen Rechtes. Die von den Arbeitnehmern dieser Arbeitsgemeinschaft einbehaltenen Lohnsteuern hätten deshalb von der Arbeitsgemeinschaft abgeführt werden müssen, was nicht geschehen sei. Darum machte es die Bfin. als Gesamtschuldnerin für die nicht abgeführte Lohnsteuer von 2.689,06 DM durch Bescheid vom 29. Oktober 1952 haftbar.
4
Einspruch und Berufung, mit denen die Bfin. bestritt, daß, jedenfalls ab 29. Dezember 1951, eine Arbeitsgemeinschaft im Sinne einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes bestanden habe, blieben erfolglos. Das Finanzgericht kam zu dem Ergebnis, daß für den Zeitraum vom 13. Dezember 1951 bis 29. Dezember 1951 das Bestehen einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft zwischen der Bfin. und der Firma X. sich eindeutig aus der Abmachung vom 13. Dezember 1951 ergebe. Diese Rechtslage habe sich durch die Abmachung vom 29. Dezember 1951 nicht geändert, zumal die jeweiligen Bauaufträge weiterhin auf die "Arbeitsgemeinschaft Bfin.-X. ausgestellt worden seien. Die Haftung der Bfin. ergebe sich deshalb aus § 113 der Reichsabgabenordnung (AO).
Entscheidungsgründe
5
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde.
6
Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Eine Haftung der Bfin. für die Lohnsteuerbeträge, für die sie in Anspruch genommen wir, würde sich aus § 113 AO ergeben, wenn diese Lohnsteuer im Betriebe einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes entstanden wäre, an der die Bfin. als Gesellschafterin beteiligt war.
7
Zutreffend sind die Vorbehörden zu dem Ergebnis gekommen, daß die Vereinbarung zwischen der Bfin. und der Firma X. vom 13. Dezember 1951 den Abschluß eines Gesellschaftsvertrages im Sinne des § 705 BGB darstellt. Die beiden Firmen haben sich in dem Vertrage zur gemeinsamen Ausführung von Bauaufträgen zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Abreden über die Behandlung neuangeschaffter Maschinen und Geräte sind getroffen, desgleichen ist die Gewinnverteilung geregelt.
8
An die Stelle der Abmachung vom 13. Dezember 1951 ist aber bereits nach 14 Tagen die diese erste Vereinbarung im vollen Umfange aufhebende Regelung vom 29. Dezember 1951 getreten. Wenn das Finanzgericht glaubt, daß sich die Rechtslage durch das neue Abkommen nicht geändert habe, so kann dem nicht gefolgt werden. Zutreffend geht das Finanzgericht davon aus, daß das Wesen einer Gesellschaft des BGB in der Verpflichtung der Gesellschaft besteht, zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes, des Gesellschaftszweckes, zusammenzuwirken. Daran fehlt es aber in der Abmachung vom 29. Dezember 1951 im Gegensatz zu der Vereinbarung vom 13. Dezember 1951. Während sich die beiden Firmen in dem Vertrage vom 13. Dezember 1951 zur gemeinsamen Durchführung von Bauaufträgen zusammengetan hatten, ist in der Vereinbarung vom 29. Dezember 1951 lediglich eine Hilfestellung der Bfin. für die Firma X. vorgesehen, die sich in der Besorgung von Zwischenkrediten einerseits und der Regelung der Schulden der Firma X. bei der Ortskrankenkasse andererseits erschöpfen sollte. Als Gegenleistung traf die Firma X. die Verpflichtung, die benötigten Baustoffe von der Bfin. zu beziehen. Von einem gemeinsamen Zweck kann nicht mehr die Rede sein, eine jede der beiden Firmen verfolgte ihre eigenen Zwecke. Die Firma X. verschaffte sich durch die Hilfe der Bfin. finanziell erst die Möglichkeit, die Bauten durchzuführen, was ihr bei ihrer starken Verschuldung sonst nicht möglich gewesen wäre. Die Bfin. ihrerseits verfolgte mit der Abmachung vom 29. Dezember 1951, ihren Absatz von Baustoffen zu fördern.
9
Die Tatsache, daß die ursprüngliche Abmachung vom 13. Dezember 1951 bereits nach 14 Tagen durch eine zweite Abrede ausdrücklich aufgehoben und ersetzt wurde, läßt es erkennen, daß den Vertragsparteien daran gelegen war, etwas anderes an die Stelle des zuvor Vereinbarten zu setzen. Insbesondere war der Bfin. daran gelegen, von den ihr gefährlich erscheinenden Bindungen loszukommen, die aus der Vertragsabrede vom 13. Dezember 1951 für sie erwachsen konnten. Andererseits erstrebte sie, sich ihren Baustoffkunden Firma X. zu erhalten und dieser Firma behilflich zu sein, sich finanziell durch namhafte Bauaufträge zu erholen.
10
Angesichts des Fehlens eines gemeinsamen, eines Gesellschaftszwecks, kann auch der Umstand, daß die Bauaufträge auf eine "Arbeitsgemeinschaft Bfin.-X." ausgestellt waren, nicht zu der Annahme führen, daß auch nach dem 29. Dezember 1951 noch eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes zwischen der Bfin. und der Firma X. bestand. Die Vertragsparteien der Abmachung vom 29. Dezember 1951 waren sich beide darüber einig und haben dies auch ausdrücklich niedergelegt, daß eine Arbeitsgemeinschaft im Sinne einer bürgerlichen Gesellschaft von ihnen nicht gewollt war. Es wäre ja auch überflüssig gewesen, zu neuen Abmachungen zu schreiten, wenn die am 13. Dezember 1951 begründete Arbeitsgemeinschaft und bürgerlich-rechtliche Gesellschaft fortgeführt werden sollte. Die Tatsache der neuen Abmachung als solche zeigt schon, daß etwas anderes an die Stelle der bisherigen Vereinbarung treten sollte.
11
Vom 29. Dezember 1951 an hat demgemäß eine gesellschaftliche Bindung zwischen der Bfin. und der Firma X. nicht mehr bestanden. Eine Arbeitsgemeinschaft, die als solche zur Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuern verpflichtet gewesen sein könnte, war also ab 29. Dezember 1951 nicht vorhanden. Mangels einer solchen Arbeitsgemeinschaft als Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes kann auch für die Bfin. keine Haftung aus § 113 AO hergeleitet werden.
12
Wennschon nun aber für die Zeit vom 13. Dezember 1951 bis 28. Dezember 1951 eine Arbeitsgemeinschaft in Form einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft zwischen der Bfin. und der Firma X. bestanden hat, kann daraus nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß die Arbeitnehmer der beiden beteiligten Firmen Arbeitnehmer der Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes geworden sind. Die Akten vermögen hierüber kein klares Bild zu geben. Dies kann sehr wohl der Fall gewesen sein; immerhin wäre es auch denkbar, daß jeder der beiden Gesellschafter unverändert Arbeitgeber seiner Arbeitnehmer geblieben ist, mithin unmittelbare Rechtsbeziehungen der Arbeitnehmer zur Arbeitsgemeinschaft nicht entstanden sind. Dies bleibt noch aufzuklären.
13
Die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen, das die noch fehlenden Feststellungen zu treffen hat.