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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Entgeltfortzahlung - Geringfügig Beschäftigte
Entgeltfortzahlung - Geringfügig Beschäftigte
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Einsatz geringfügig Beschäftigter ist für Arbeitgeber immer noch eine lohnende Sache (s. dazu die Stichwörter Geringfügige Beschäftigung - Allgemeines ff.) . Die Flexibilität sogenannter "Aushilfen" (s. dazu die Stichwörter Aushilfskräfte - Allgemeines ff.) ist ein entscheidender Pluspunkt gegenüber Mitarbeitern mit starren Arbeitszeiten. Das Hauptproblem dieser Beschäftigungsform liegt allerdings immer noch darin, dass geringfügig Beschäftigte als Arbeitnehmer zweiter Klasse behandelt werden. Stellenweise sehen sich diese Arbeitnehmer, die "nicht auf Karte" arbeiten, sogar selbst so. Und das führt dazu, dass sie viele ihrer Rechte nicht kennen und deswegen auch gar nicht geltend machen. So haben beispielsweise auch geringfügig Beschäftigte Entgeltfortzahlungsansprüche wie alle anderen Arbeitnehmer auch.
2. Die Grundformen geringfügiger Beschäftigung
Das Sozialversicherungsrecht kennt zwei Arten geringfügiger Beschäftigung:
das Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung bleibtregelmäßig innerhalb der Geringfügigkeitsgrenze – geringfügig entlohnte Beschäftigung (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV),
die Beschäftigung pflegt nach ihrer Eigenart oder im Voraus innerhalb eines Kalenderjahrs auf längstens drei Monate oder 70 Arbeitstage begrenzt zu sein oder ist im Voraus vertraglich begrenzt, wobei die Beschäftigung nicht berufsmäßig ausgeübt und das Entgelt dabei nicht die Geringsfügigkeitsgrenze übersteigen darf – geringfügig kurzfristige Beschäftigung (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV).
Der Gesetzgeber hat sich mit dem "Gesetz zur Erhöhung des Schutzes durch den gesetzlichen Mindestlohn und zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung" vom 28.06.2022 - BGBl. I 2022, S. 696 ff. – von der bis zum 30.09.2022 starren Geringfügigkeitsgrenze – zuletzt 450 EUR – verabschiedet.
Die neue SGB-Geringfügigkeitsgrenze bezeichnet ab dem 01.10.2022 das "monatliche Arbeitsentgelt, das bei einer Arbeitszeit von zehn Wochenstunden zum Mindestlohn" nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG i.V.m. der auf Grundlage des § 11 Abs. 1 Satz 1 MiLoG "jeweils erlassenen Verordung erzielt wird" (§ 8 Abs. 1a Satz 1 SGB IV). "Sie wird berechnet, indem der Mindestlohn mit 130 vervielfacht, durch drei geteilt und auf volle Euro aufgerundet wird" (§ 8 Abs. 1a Satz 2 SGB IV).
Die jeweils maßgebliche Geringfügigkeitsgrenze wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Bundesanzeiger bekannt gegeben (§ 8 Abs. 1a Satz 3 SGB IV). Sie beträgt ab dem 01.10.2022 zunächst 520 EUR.
Eine sozialversicherungsrechtliche Besonderheit sind geringfügig Beschäftigte im Privathaushalt (§ 8a SGB IV - s. dazu auch das Stichwort Geringfügige Beschäftigung - Privathaushalt).
3. Der Grundsatz der Entgeltfortzahlung
Der sachliche Anwendungsbereich des EFZG erstreckt sich auf
die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und
die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall
an Arbeitnehmer (§ 1 Abs. 1 EFZG). Arbeitnehmer sind nach § 1 Abs. 2 EFZG
Angestellte
Arbeiter und
die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigten.
Das EFZG macht keine Unterschiede zwischen den begünstigten Arbeitnehmern. Ihm ist es gleichgültig, ob ein Arbeitnehmer in Vollzeit oder in Teilzeit, "normal" oder nur geringfügig beschäftigt wird. Dem EFZG ist es auch egal, ob ein Arbeitnehmer sozialversichert ist, "auf Karte" oder pauschal versteuert arbeitet. Sobald ein geringfügig Beschäftigter Arbeitnehmer ist (s. dazu das Stichwort Arbeitnehmer), fällt er in den Anwendungsbereich des EFZG. Dann hat er einen Entgeltfortzahlungsanspruch nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 EFZG (Arbeitsunfähigkeit, Schwangerschaftsabbruch, Sterilisation) und des § 9 EFZG (Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation).
Merke: Die Sozialversicherungsfreiheit geringfügig Beschäftigter schließt keine Entgelfortzahlungsansprüche aus.
4. Ausschluss der Entgeltfortzahlung: Wartezeit
Für alle Arbeitnehmer gilt nach § 3 Abs. 3 EFZG: "Der Anspruch nach Absatz 1 entsteht erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses." Diese Wartezeit (s. dazu das Stichwort Entgeltfortzahlung - Wartezeit) greift in jedem Beschäftigungsverhältnis. Das heißt für geringfügig entlohnte Beschäftigte: Sie müssen erst vier Wochen in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, damit sie gegen ihren Arbeitgeber einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben.
Beispiel:
Arbeitnehmerin N1 fängt am 01.04 eine Tätigkeit als geringfügig entlohnt Beschäftigte in der Systemgastronomie an. Sie wird am 13.04. arbeitsunfähig krank. Arbeitnehmerin N2 nimmt ihren geringfügig entlohnten Minijob am 01.06. auf und wird am 24.06. arbeitsunfähig krank. Arbeitnehmerin N3 beginnt ihre geringfügige Beschäftigung am 03.07., wird am 11.07. arbeitsunfähig krank und kündigt am 14.07. zum 28.07., weil sie sich "dem ganz Stress nicht mehr gewachsen" fühlt. Für N1 beginnt die vierwöchige Wartezeit am 01.04. und endet am 28.04. N1 hat erst dann Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn sie am 29.04. noch beschäftigt ist und ihr Beschäftigungsverhältnis an diesem 29.04. noch besteht. Der Entgeltfortzahlungsanspruch von Arbeitnehmerin N2 beginnt am 29.07., sie muss also noch fünf Tage ohne Entgeltfortzahlung auskommen. Arbeitnehmerin N3 schließlich hat überhaupt keinen Entgeltfortzahlungsanspruch. Sie wurde innerhalb der Wartezeit krank und hat ihr Beschäftigungsverhältnis innerhalb der Wartezeit selbst beendet.
Man kann dem Gesetzgeber nicht vorwerfen, er habe mit der Regelung in § 3 Abs. 3 EFZG eine Diskriminierung geringfügig entlohnter Beschäftigter beabsichtigt. § 3 Abs. 3 EFZG gilt in gleichem Maß für Vollzeitkräfte und nicht geringfügig beschäftigte Teilzeitarbeitnehmer. Alle Arbeitnehmer werden insoweit gleichbehandelt. Bei geringfügig kurzfristig Beschäftigten ist das nicht anders. Sie haben auch nur unter den Voraussetzungen Anspruch auf Entgeltfortzahlung wie andere Arbeitnehmer, die nicht i. S. des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV kurzfristig beschäftigt sind.
Beispiel:
Arbeitnehmer N1 wird für vier Wochen für die Zeit vom 15.08. bis zum 11.09. als geringfügig beschäftigter Erntehelfer eingestellt. Arbeitnehmer N2 soll in der Zeit vom 01.07. bis 31.08. während der Sommerferien in einem Vergnügungspark als kurzfristig geringfügig Beschäftigter ein Fahrgeschäft beaufsichtigen. Arbeitnehmer N3 wird in den Monaten Juni, Juli, August und September für 10 verlängerte Wochenenden (Freitag, Samstag, Sonntag) als Aushilfskellner in einem Biergarten geringfügig kurzfristig eingestellt. Das erste Arbeitswochenende beginnt am Freitag, den 08.06. Arbeitnehmer N1 hätte erst mit dem 12.09. Anspruch auf Entgeltfortzahlung, weil die vierwöchige Wartezeit erst mit dem letzten Tag des Beschäftigungsverhältnisses am 11.09. abläuft. Arbeitnehmer N2 hat mit Ablauf des 28.07. Anspruch auf Entgeltfortzahlung, Arbeitnehmer N3 ab dem 06.07.
Ungeklärt sind die Fälle, in denen dem Arbeitseinsatz keine vorausschauende Planung zugrundeliegt. Das ist der Fall, wenn immer wieder nur für kurze Zeit neue und in sich abgeschlossene Beschäftigungsverhältnisse vereinbart werden. Dann könnte man als Arbeitgeber durchaus die Auffassung vertreten, dass die vierwöchige Wartezeit bei jedem neuen Beschäftigungsverhältnis erneut zu laufen beginnt. So ein Arbeitnehmer käme nie in den Bereich der Entgeltfortzahlung, weil er nie länger als vier Wochen hintereinander arbeitet und jedes Beschäftigungsverhältnis für sich abgeschlossen ist. Aus Arbeitnehmersicht könnte man die Meinung vertreten, dass die Vier-Wochen-Frist in dem Zeitpunkt beginnt, in dem die erste Arbeitsaufnahme erfolgt. Dann entstünden nach Ablauf von vier Kalenderwochen tatsächlich Ansprüche aus § 3 Abs. 1 EFZG.
5. Ansonsten gilt: Gleiches Recht für alle
Die übrigen Rechte und Pflichten, die das EFZG vorgibt, gelten für geringfügig Beschäftigte genauso wie für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte:
die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts richtet sich nach § 4 Abs. 1 EFZG (s. dazu das Stichwort Entgeltfortzahlung - Entgelthöhe)
Überstunden - so sie bei geringfügig Beschäftigten überhaupt anfallen - gehören nicht zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt, § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG (s. dazu das Stichwort Entgeltfortzahlung - Überstunden)
bei variablen Vergütungsbestandteilen zählt der Durschnittsverdienst, § 4 Abs. 1a Satz 2 EFZG (s. dazu Entgeltfortzahlung - Provision)
Sondervergütungen können nach Maßgabe des § 4a EFZG gekürzt werden (s. dazu das Stichwort Entgeltfortzahlung - Kürzung von Sonderzahlung)
geringfügig Beschäftigte müssen ihre Arbeitsverhinderung nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 EFZGanzeigen und nachweisen (s. dazu das Stichwort Entgeltfortzahlung - Melde- und Nachweispflicht)
der Arbeitgeber hat nach Maßgabe des § 6 EFZG Ansprüche bei Dritthaftung (s. dazu das Stichwort Entgeltfortzahlung - Dritthaftung)
der Arbeitgeber darf die Entgeltfortzahlung verweigern, wenn der geringfügig Beschäftigte seinen Pflichten aus § 5 u. 6 EFZG nicht nachkommt, § 7 EFZG (s. dazu das Stichwort Entgeltfortzahlung - Leistungsverweigerungsrecht)
der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bleibt auch bei geringfügig Beschäftigten unberührt, wenn der Arbeitgeber aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit eine Kündigung ausspricht § 8 EFZG (s. dazu das Stichwort Entgeltfortzahlung - Kündigung).
Auch wenn viele Artbeitgeber es nicht wahrhaben wollen - oder es wirklich nicht wissen: Geringfügig Beschäftigte sind Arbeitnehmer wie alle anderen auch. Mit denselben Pflichten und denselben Rechten.
Es ist heute kaum mehr nachvollziehbar, wie der Irrglaube, geringfügig Beschäftigte hätten keine Entgeltfortzahlungsansprüche, in die Arbeitswelt gekommen ist. Eine mögliche Erklärung könnte das alte, durch das EFZG am 01.06.1994 abgelöste Lohnfortzahlungsgesetz sein. Dieses "LFZG" galt zunächst nur für Arbeiter. Sein § 1 Abs. 3 Nr. 2 sah vor, dass Arbeiter, die nicht mehr als 10 Stunden wöchentlich oder 45 Stunden monatlich arbeiteten, keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung hatten. Der EuGH hatte diese Regelung als EG-rechtswidrig gekippt (EuGH, 13.07.1989 - Rs 171/88). Das BAG ist ihm gefolgt (BAG, 09.10.1991 - 5 AZR 598/90; 26.02.1992 - 5 AZR 225/91; 07.07.1993 - 5 AZR 627/92). Durch die gesetzliche Regelung in § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG wurde die Gruppe der geringfügig beschäftigten Arbeiter von der Lohnfortzahlung ausgeschlossen. Auch wenn die Vorschrift geschlechtsneutral formuliert war: Sie betraf in Wirklichkeit mehr Frauen als Männer. Damit stellte sie eine mittelbare Diskriminierung von Frauen dar und verstieß gegen EG-Recht (Lohngleichheit, Art. 119 EWG-Vertrag, heute: Art. 141 EG-Vertrag). Angestellte, für die seinerzeit § 616 BGB a. F. Anwendung fand, hatten eigentlich immer schon Anspruch auf Entgeltfortzahlung - und das unabhängig von Art, Dauer und Umfang ihrer Beschäftigung. Auch das war eine Ungleichbehandlung, die der Gesetzgeber mit dem EFZG beendet hat.
6. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Entgeltfortzahlung - Geringfügig Beschäftigte hinterlegt:
6.1 Gleichstellung
§ 1 Abs. 3 Nr. 2 LfzG ist auf geringfügig beschäftigte Arbeiterinnen nicht anzuwenden. Die einschlägige BAG- und EuGH-Rechtsprechung (BAG, 09.10.1991 - 5 AZR 598/90; EuGH, 13.07.1989 - Rs 171/88) ist dahingehend forzuführen, dass sie auch auf geringfügig beschäftigte Arbeiter Anwendung findet. § 1 Abs. 3 Nr. 2 LfzG schließt damit auch für männliche geringfügig Beschäftigte den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht aus (LAG Rheinland-Pfalz, 27.09.1993 - 8 Sa 507/93).