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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Entgeltfortzahlung - Überstunden
Entgeltfortzahlung - Überstunden
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Arbeitgeber schuldet nach § 3 Abs. 1 EFZG für sechs Wochen Entgeltfortzahlung. Die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts ergibt sich aus § 4 Abs. 1 EFZG. Das Gesetz stellt auf das dem Arbeitnehmer für seine regelmäßige Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt ab. Gleichzeitig schließt es aber auch bestimmte Entgeltbestandteile aus: So zum Beispiel "das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt" (§ 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG).
2. Der Grundsatz: Das Lohnausfallprinzip
§ 4 Abs. 1 EFZG will, dass ein Arbeitnehmer während seiner Arbeitsunfähigkeit das bekommt, was er sonst durch seine Arbeit bekommen hätte. Das Gesetz regelt das sogenannte Lohnausfallprinzip.
Beispiel:
Arbeitnehmer N1 hat eine tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden und einen Stundenlohn von 12,00 EUR. Fällt N1 in einer Woche für drei Tage krankheitsbedingt aus, hat er für diese drei Tage einen Entgeltfortzahlungsanspruch von (3 Arbeitstage x 8 Arbeitsstunden x 12,00 EUR/h Arbeitslohn =) 288,00 EUR. Arbeitnehmerin N2 hat eine Teilzeittätigkeit. Montags und dienstags arbeitet sie 4 Stunden, am Mittwoch und am Donnerstag 5, am Freitag 6 und am Samstag wieder 4 Stunden. Ihr Stundenlohn beträgt 13,75 EUR. Fällt N2 ab Donnerstagmorgen für drei Tage aus, hat sie einen Anspruch auf (15 Arbeitsstunden x 13,75 EUR/h Arbeitslohn =) 206,25 EUR.
Das Lohnausfallprinzip führt dazu , dass immer die Tage mit der Anzahl von Stunden zu bezahlen sind, die gerade wegen der Arbeitsunfähigkeit ausfallen. Wenn es keine besonderen Regeln - wie etwa § 4 Abs. 1a EFZG - gibt, gehört zum Arbeitsentgelt alles, was der Arbeitnehmer als Gegenleistung für seine Arbeitsleistung bekommt (s. dazu das Stichwort Entgeltfortzahlung - Entgelthöhe). Dazu würde ohne § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG auch die zusätzlich für Überstunden gezahlte Überstundenvergütung gehören.
3. Die Ausnahme: Überstunden bleiben unberücksichtigt
Stellt man allein auf den Wortlaut des § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG ab, könnte man meinen, das "zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt" beträfe nur die Zuschläge, die es für Überstunden gibt.
Beispiel:
Arbeitnehmer N soll am Dienstag, den 05.05., abends zwei Überstunden machen, weil sein Kollege an diesem Tag einen wichtigen Arzttermin hat. Am Abend des 04.05. wird N3 auf dem Heimweg angefahren und für mehrere Wochen arbeitsunfähig krank. N bekommt einen Stundenlohn von 16,50 EUR. Für jede Überstunde muss Arbeitgeber A einen 25-prozentigen Zuschlag zahlen. § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG könnte vom Wortlaut her nun so zu verstehen sein, dass er lediglich den Zuschlag ausschließt. N würde für die zwei krankheitsbedingt ausfallenden Überstunden vom 05.05. also "nur" 33,00 EUR statt 41,25 EUR bekommen.
Zusätzlich für Überstunden gezahltes Arbeitsentgelt bedeutet nach herrschender Meinung aber nicht bloß die Überstundenzuschläge, sondern auch die übrige Vergütung. Auch die Grundvergütung für die Überstunden wird zusätzlich zum normalen Entgelt gezahlt - nämlich für die - außer der Reihe und zusätzlich - anfallenden Überstunden (BAG, 26.06.2002 - 5 AZR 511/00 - mit dem Hinweis, dass der Gesetzgeber sonst eindeutig von "Überstundenzuschläge" hätte sprechen müssen. Insoweit sind Überstunden im Regelfall daher weder als Geld- noch als Zeitfaktor zu berücksichtigen.
Beispiel:
N aus dem voraufgehenden Beispiel bekommt für den 05.05. nur für die Arbeitszeit Entgeltfortzahlung, die seiner normalen Arbeitszeit entspricht. Die beiden Überstunden werden im Rahmen der Entgeltfortzahlung nach § 4 Abs. 1 EFZG wegen § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG nicht vergütet. Sie fallen ersatzlos aus der Entgeltberechnung heraus.
§ 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG greift aber nur dann, wenn die Überstunden - da schließt sich der Kreis zu § 4 Abs. 1 EFZG - nicht zur "maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit" gehören. Dazu im folgenden Gliederungspunkt mehr:
4. Die Ausnahme von der Ausnahme: Überstunden als Regelarbeitszeit
Überstunden sind in der Regel situationsbedingt: Ein Arbeitnehmer fällt aus, ein Auftrag muss noch erledigt werden, ein saisonales Ereignis verlangt einen verstärkten Einsatz von Mitarbeitern. Überstunden sollen nach vielen Tarifverträgen nur in Ausnahmefällen geleistet werden - Mehrarbeit ist nach möglich zu vermeiden. Insoweit ist es sinnig, das § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt aus der Entgeltfortzahlung herausnimmt. Aber: Es gibt auch Betriebe und Branchen, in denen regelmäßige Mehrarbeit anfällt.
Beispiel:
In Arbeitgeber As Betrieb gilt die tarifliche 35-Stunden-Woche als regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit. Um gleichmäßige 8-Stunden-Schichten zu fahren, vereinbart A mit seinen Arbeitnehmern im Rahmen der vom Tarifvertrag per Öffnungsklausel zugelassenen Möglichkeiten die 40-Stunden-Woche. Sie bekommen die fünf zusätzlichen Arbeitsstunden mit ihrem normalen Stundenlohn und einem 30-prozentigen Zuschlag bezahlt.
Überstunden gehören im voraufgehenden Beispielfall zur regelmäßigen Arbeitszeit der Arbeitnehmer. Würde man hier § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG anwenden, müssten die Arbeitnehmer jede Woche auf die Bezahlung von fünf Arbeitsstunden plus Zuschlägen verzichten. Das kann der Gesetzgeber nicht gewollt haben. Leistet ein Arbeitnehmer ständig eine bestimmte Arbeitszeit, die mit der betriebsüblichen oder tariflichen Arbeitszeit nicht übereinstimmt, kann nicht von "Überstunden" gesprochen werden. Überstunden werden wegen besonderer Ereignisse zusätzlich geleistet - und hier handelt es sich um eine Veränderung der üblichen Arbeitszeit. Das wiederum führt dazu, dass die Entgeltfortzahlung dann auch diese Arbeitszeit erfasst (zur Abgrenzung: BAG, 26.06.2002 - 5 AZR 511/00).
Beispiel:
Die Mitarbeiter aus As Betrieb können im voraufgehenden Fall über § 4 Abs. 1 EFZG auch eine Vergütung ihrer regelmäßigen "Überstunden" verlangen. A kann sich nicht darauf berufen, dass diese 5 zusätzlichen Arbeitsstunden (echte) Überstunden seien, die er über § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG bei der Entgeltfortzahlung unberücksichtigt lassen darf. Sie gehören zur regelmäßigen Arbeitszeit.
Nicht entgeltfortzahlungspflichtige Überstunden würden in den voraufgehenden Beispielen erst dann geleistet, wenn die 40-Stunden-Grenze überschritten wird. Auch dabei ist wiederum zu berücksichtigen, ob diese Überstunden echte Überstunden sind oder die regelmäßige Arbeitszeit des erkrankten Arbeitnehmers darstellen (zur weiteren Information: BAG, 21.11.2001 - 5 AZR 296/00).
5. Abweichungen in Tarifverträgen
In Tarifverträgen kann eine von § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZGabweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festgelegt werden (§ 4 Abs. 4 EFZG).
Beispiel:
Arbeitgeberverband und Gewerkschaft vereinbaren in ihrem Manteltarifvertrag zur Entgeltfortzahlung: "Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung richtet sich nach der tatsächlich krankheitsbedingt ausfallenden Arbeitszeit und dem Arbeitsentgelt, dass er während seiner Arbeitsunfähigkeit verdient hätte. Zur Arbeitszeit gehören auch Überstunden, zum Arbeitsentgelt das zusätzlich für die Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt einschließlich der auf die Überstunden entfallenden Zuschläge." Sind Arbeitgeber A und seine Mitarbeiter tarifgebunden, muss er Entgelt fortzahlen, das entgegen der Regelung in § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG auch das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt umfasst.
Änderungen von EFZG-Vorgaben sind wegen § 12 EFZG eigentlich nur zugunsten der Arbeitnehmer zulässig. § 4 Abs. 4 EFZG zieht hier eine wichtige Ausnahme. Er erlaubt - entgegen § 12 EFZG - auch Regelungen, die sich nachteilig auf die Arbeitnehmer auswirken. So könnten Tarifpartner die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts sogar weiter einschränken als § 4 EFZG es tut (zu den Voraussetzungen einer abweichenden Regelung s. BAG, 24.03.2004 - 5 AZR 346/03).
Beispiel:
Wollen die Tarifpartner von der individuellen Arbeitszeit eines Arbeitnehmers als Zeitfaktor für die Bemessung der Entgeltfortzahlung weg, können sie vereinbaren: "Als Bruttoarbeitsentgelt wird der Betrag angesehen, den der Werksangehörige in der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit nach Schichtplan erhalten würde, wenn er nicht an der Arbeitsleistung verhindert wäre (so im Fall BAG, 24.03.2004 - 5 AZR 346/03)."
Im Geltungsbereich eines abweichenden Tarifvertrags kann zwischen nichttarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Anwendung der tarifvertraglichen Regelungen über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall vereinbart werden (§ 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG). Die Vertragspartner müssen die Anwendbarkeit des gesamten Tarifvertrags vereinbaren - und nicht bloß die Beschränkung des fortzuzahlenden Entgelts.
6. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle sind einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Entgeltfortzahlung - Überstunden in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
6.1 Begriff "Überstunde"
Eine Überstunde i. S. des § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG liegt bei einer Überschreitung der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit des Arbeitnehmers vor. Es entstehen keine Überstunden, wenn der Arbeitnehmer eine regelmäßige Arbeitszeit hat, die höher als die betriebsübliche oder tarifliche Arbeitszeit ist. Überstunden müssen wegen bestimmter besonderer Umstände zusätzlich geleistet werden (BAG, 09.07.2003 - 5 AZR 610/01).
6.2 Darlegungs- und Beweislast
Der Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast zu der für ihn maßgebende regelmäßigen Arbeitszeit gemäß § 4 Abs. 1 EFZG im Normalfall dadurch, dass er den Durchschnitt der Arbeitszeit der vergangenen zwölf Monate darlegt. Das Maß der Substanziierung richtet sich nach der Einlassung des Arbeitgebers. Überstunden hat der Arbeitgeber, wenn sie sich nicht bereits aus dem Vortrag des Arbeitnehmers ergeben, entsprechend der Vorgabe aus § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG einzuwenden. Behauptet der Arbeitgeber eine aus Überstunden resultierende Minderung der zu berücksichtigenden durchschnittlichen Arbeitszeit, trägt er dafür die Darlegungs- und Beweislast (BAG, 09.07.2003 - 5 AZR 611/01).
6.3 Referenzzeitraum
Ob und in welchem Umfgang Regelarbeitszeit oder Überstunden vorliegen, lässt sich vielfach nur mit einer individuellen Berechnung feststellen. Will man dabei möglichst repräsentative und genaue Werte erhalten, ist grundsätzlich ein Vergleichszeitraum von 12 Monaten heranzuziehen. Nur damit lässt sich eine Regelmäßigkeit i. S. des § 4 Abs. 1 EFZG darstellen (BAG, 26.06.2002 - 5 AZR 5/01).
6.4 Überstundenpauschale
"Erhält ein Arbeitnehmer ein festes Monatsgehalt für die vereinbarten Mehrarbeitsstunden nicht entgeltfortzahlungspflichtig und deshalb aus dem Monatsentgelt herauszurechnenden Überstundenzuschlag, das auch die Vergütung für eine bestimmte, arbeitsvertraglich vereinbarte Zahl von Mehrarbeitsstunden einschließlich tariflicher Überstundenzuschläge beinhaltet, ist bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 4 Abs. 1a EFZG der (BAG, 26.06.2002 - 5 AZR 153/01 - Leitsatz - und zugleich Fortführung von BAG, 21.11.2001 - 5 AZR 296/00).
6.5 Zusätzliches Arbeitsentgelt
Im Rahmen der Entgeltfortzahlung wirken sich etwaige Überstunden aus dem Vormonat nach § 4 Abs. 1a EFZG nicht anspruchsmindernd aus. Demnach gehört zum fortzahlungspflichtigen Arbeitsentgelt nicht das zusätzlich für außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit liegende Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt (LAG Rheinland-Pfalz, 02.05.2004 - 9 Sa 1408/03).