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BFH, 06.03.2003 - XI R 46/01 - Liebhaberei bei langjähriger Verlustphase; Gewinnerzielungsabsicht; Besonderheiten bei künstlerischer Tätigkeit
Bundesfinanzhof
Urt. v. 06.03.2003, Az.: XI R 46/01
Liebhaberei: Viele Jahre kein Gewinn heißt nicht nicht wollen
Erleidet ein Künstler aus der selbständigen Vermarktung seiner Erzeugnisse über (hier: 11) Jahre hinweg Verluste, so lässt dies nicht unbedingt darauf schließen, dass er keine Gewinne erzielen will, also Liebhaberei betreibt, die steuerlich unbedeutend wäre. Hat er zugleich Einkünfte aus unselbständiger Künstlertätigkeit und bleibt unterm Strich ein Plus, das zum Lebensunterhalt ausreicht, so sind die Verluste weiterhin steuerlich anzuerkennen.
Quelle: Wolfgang Büser
Liebhaberei bei langjähriger Verlustphase; Gewinnerzielungsabsicht; Besonderheiten bei künstlerischer Tätigkeit
Verfahrensgang:
vorgehend:
FG Hamburg - 19.03.2001 - AZ: II 124/99
Fundstellen:
BFHE 202, 124 - 128
BB 2003, 1765-1766 (Volltext mit amtl. LS)
BB 2003, 1165 (amtl. Leitsatz)
BBK 2003, 489
BFH/NV 2003, 994-995 (Volltext mit amtl. LS)
BStBl II 2003, 602-603 (Volltext mit amtl. LS)
DB 2003, 1204-1205 (Volltext mit amtl. LS)
DStRE 2003, 847-848
DStZ 2003, 478-479 (Kurzinformation)
EStB 2003, 247
FR 2003, 727-728
GStB 2003, 31
HFR 2003, 669-670
INF 2003, 485
KÖSDI 2003, 13746-13747
NJW 2003, 2048 (amtl. Leitsatz)
NWB 2005, 873-874 (Volltext)
NWB 2003, 1649
RdW 2003, 514-516 (Kurzinformation)
stak 2003
SteuerBriefe 2003, 903-904
StuB 2003, 516
SWK 2003, 1187
WPg 2003, 941-942
BFH, 06.03.2003 - XI R 46/01
Amtlicher Leitsatz:
Langjährige Verluste aus selbstständiger Arbeit lassen bei einem bildenden Künstler, der als solcher sowohl selbstständig als auch Nichtselbstständig tätig ist und aus seiner künstlerischen Tätigkeit insgesamt positive Einkünfte erzielt, noch nicht auf eine fehlende Gewinnerzielungsabsicht schließen.
Gründe
1
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein an Hochschulen ausgebildeter Maler und Grafiker. Er war als solcher durchgehend selbstständig tätig; darüber hinaus war er über längere Zeiten im Angestelltenverhältnis bei gemeinnützigen Vereinen mit der Durchführung künstlerischer Projekte u.Ä. befasst. In der Zeit von 1984 bis 1995 erzielte er Einnahmen aus Nichtselbstständiger Tätigkeit von insgesamt rd. 616.000,00 DM (ohne Arbeitslosengeld) und aus selbstständiger Tätigkeit von rd. 59.800,00 DM (netto). Seine Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit waren --mit Ausnahme eines Gewinns im Veranlagungszeitraum 1988 von 1.322,00 DM-- negativ. Im Streitjahr 1995 betrugen der Verlust aus selbstständiger Arbeit 22.593,00 DM und seine Einnahmen aus Nichtselbstständiger Arbeit 89.561,00 DM.
2
Im Streitjahr erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Verlust aus selbstständiger Tätigkeit nicht mehr an. Diese sei eine steuerlich irrelevante Liebhaberei.
3
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Verlust aus der selbstständig ausgeübten Tätigkeit sei mangels Gewinnerzielungsabsicht steuerlich nicht anzuerkennen. Der Kläger habe bis zum Streitjahr schwankende, tendenziell eher steigende Verluste erwirtschaftet. Für die folgenden Jahre habe der Kläger keine grundsätzliche Änderung mitgeteilt. Erfolg versprechende Maßnahmen zur Reduzierung der Verluste seien nicht vorgetragen worden. Die Struktur der Aufwendungen sei durchweg gleich geblieben, der Mietaufwand für das Atelier sogar gestiegen. Der Kläger selbst habe dargetan, dass er von seinen Einnahmen aus selbstständiger künstlerischer Tätigkeit nicht habe leben können. Der Verlust könne auch nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus der Nichtselbstständigen Tätigkeit anerkannt werden. Anders als in dem vom Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 22. Juli 1993 VI R 122/92 (BFHE 171, 558, BStBl II 1994, 510) entschiedenen Fall, sei Hauptberuf des Klägers die selbstständige Tätigkeit. Schließlich sei er als selbstständig Tätiger durchgehend tätig gewesen. Seine Nichtselbstständige Tätigkeit habe er immer wieder unterbrochen.
4
Mit seiner Revision rügt der Kläger unrichtige Rechtsanwendung. Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung reichten laufende Verluste allein nicht für eine Liebhaberei aus. Aus weiteren Beweisanzeichen müsse die Feststellung möglich sein, der Steuerpflichtige habe die verlustbringende Tätigkeit nur aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen ausgeübt (BFH-Beschluss des Großen Senats vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751). Der Kläger betreibe seine selbstständige Tätigkeit nicht als Hobby, sondern er sei von Berufs wegen ausschließlich Künstler. Dass er seine künstlerische Tätigkeit nicht ausschließlich als Selbstständiger, sondern nach Maßgabe der Gewährung öffentlicher Fördergelder als Angestellter gemeinnütziger Vereine erziele, mache aus seiner selbstständigen Tätigkeit keine steuerlich irrelevante Liebhaberei. In jedem Fall aber sei sein Verlust als Werbungskosten bei seiner Nichtselbstständigen Tätigkeit anzuerkennen. Der enge Förderzusammenhang zwischen der verlustbringenden selbstständigen Tätigkeit und der Tätigkeit als Arbeitnehmer stehe außer Zweifel. Das Wirken als Künstler werde nur zufällig durch die steuerliche Einkünftesystematik auseinander gerissen. Die Annahme des FG, ein Abzug von Verlusten als Werbungskosten komme nur in Betracht, wenn die selbstständige Tätigkeit eine Nebentätigkeit sei, sei rechtsirrig. Das FG habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es überraschenderweise angebliche Schreibfehler des Gerichtsbescheids im Urteil korrigiert habe.
5
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1995 vom 6. Januar 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 1998 dahin gehend zu ändern, dass die Einkommensteuer für 1995 auf 14.744,00 DM herabgesetzt wird.
6
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7
Selbstständige und Nichtselbstständige Tätigkeit seien steuerlich getrennt zu beurteilen. Die Erzielung von Verlusten über einen Zeitraum von mehr als 12 Jahren indiziere das Fehlen der Gewinnerzielungsabsicht. Die Grundsätze der Entscheidung des BFH in BFHE 171, 558, BStBl II 1994, 510 erlaubten nur eine Verlustverrechnung bei den Einkünften aus Nichtselbstständiger Tätigkeit, wenn sich die selbstständige Tätigkeit als Nebenberuf darstelle. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liege nicht vor.
8
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht allein aus der langjährigen Verlustphase der selbstständigen künstlerischen Tätigkeit auf eine steuerrechtlich irrelevante Liebhaberei geschlossen.
9
1.
Dem Kläger steht dem Grunde nach der Ausgleich seines Verlustes aus selbstständiger Arbeit mit seinen Einkünften aus Nichtselbstständiger Arbeit zu.
10
Bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind positive und negative Einkünfte anzusetzen, wenn im Rahmen der jeweiligen Einkunftsart die Absicht besteht, auf Dauer gesehen nachhaltig Überschüsse zu erzielen. Die Einkunftserzielungsabsicht ist eine innere Tatsache, die --wie alle sich in der Vorstellung von Menschen abspielenden Vorgänge-- nur anhand äußerer Merkmale beurteilt werden kann. Aus objektiven Umständen muss auf das Vorliegen oder Fehlen der Absicht geschlossen werden, wobei einzelne Umstände einen Anscheinsbeweis liefern können, der vom Steuerpflichtigen entkräftet werden kann. Dauernde Verluste sind zwar Indiz gegen eine Einkunftserzielungsabsicht. Daraus auf eine steuerrechtlich unbeachtliche Liebhaberei zu schließen, ist aber nur gerechtfertigt, wenn der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit nur aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen ausübt (sog. subjektiver Liebhabereibegriff seit Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. IV. 3. c bb (1); BFH-Urteile vom 22. April 1998 XI R 10/97, BFHE 186, 206 [BFH 22.04.1998 - XI R 10/97], BStBl II 1998, 663; vom 31. Mai 2001 IV R 81/99, BFHE 195, 382, BStBl II 2002, 276; vgl. auch z.B. Hutter, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1998, 344; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 2 Rdnr. 22, m.w.N.). Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch die Eigenart der zu beurteilenden Tätigkeit, zu berücksichtigen (Großer Senat des BFH in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751; BFH-Urteile vom 14. März 1985 IV R 8/84, BFHE 143, 355, BStBl II 1985, 424; in BFHE 186, 206 [BFH 22.04.1998 - XI R 10/97], BStBl II 1998, 663; vom 19. Juli 1990 IV R 82/89, BFHE 161, 144 [BFH 19.07.1990 - IV R 82/89], BStBl II 1991, 333). Dementsprechend können die Grundsätze, die für land- und forstwirtschaftliche Betriebe oder gewerbliche Tierzucht oder Tierhaltung gelten, nicht unbesehen auf eine künstlerische Tätigkeit übertragen werden. Denn der Ausübung des Künstlerberufs sind eine planmäßige Betriebsführung, Marktpreise oder eine nachprüfbare Kalkulation nicht wesensmäßig.
11
2.
Übt ein Steuerpflichtiger eine künstlerische Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) aus und erzielt er hieraus über einen längeren Zeitraum Verluste, widerlegt dies --der Eigenart künstlerischen Schaffens entsprechend-- allein noch nicht die Einkünfteerzielungsabsicht. Verluste können ebenso Ausdruck eines kritischen, zurückhaltenden Kunstmarktes sein, wie bekannte Beispiele aus der Kunstgeschichte belegen. In die gebotene Gesamtwürdigung sind daher weitere Gesichtspunkte einzubeziehen, so insbesondere:
- Art der künstlerischen Berufsausbildung und Ausbildungsabschluss (vgl. z.B. Niedersächsisches FG, Urteil vom 19. Januar 1989 VI 344/87 - juris),
- künstlerische Tätigkeit als alleinige Existenzgrundlage des Steuerpflichtigen, ggf. seiner Familie (vgl. z.B. Blümich/Hutter, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr. 45, m.w.N.; Steinhauff in Littmann/Bitz/Pust, Einkommensteuerrecht, § 18 EStG Rdnr. 25, m.w.N.; BFH-Urteil vom 22. Juli 1982 IV R 74/79, BFHE 136, 459, BStBl II 1983, 2),
- berufstypische professionelle Vermarktung (z.B. Teilnahme an Ausstellungen: BFH-Urteile vom 26. April 1989 VI R 104/86, BFH/NV 1989, 696; vom 7. Mai 1993 VI R 39/90, BFH/NV 1993, 652),
- besondere betriebliche Einrichtungen (z.B. Atelier, Urteil in BFH/NV 1989, 696),
- Erwähnung in einschlägiger Literatur (BFH-Urteil in BFH/NV 1989, 696; ähnlich FG München, Urteil vom 20. Oktober 2000 13 K 2414/95 - juris),
- Erzielung gelegentlicher Überschüsse (BFH-Urteil in BFH/NV 1989, 696; vgl. auch BFH-Urteil vom 22. November 1979 IV R 88/76, BFHE 129, 269, BStBl II 1980, 152),
- Schaffung von Werken, die für erwerbswirtschaftliche Verwertung bestimmt sind und daher bei entsprechender Marktnachfrage verkauft werden können (in Abgrenzung zu BFH-Urteil vom 23. Mai 1985 IV R 84/82, BFHE 144, 49, BStBl II 1985, 515; Kirchhof, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1985, 225, 230).
12
3.
Danach kann dem Kläger nicht die Absicht abgesprochen werden, auch mit seiner selbstständigen künstlerischen Tätigkeit Gewinne zu erzielen.
13
Der Kläger hat ein Kunststudium an Hochschulen abgeschlossen. Seither ist er auf dem Gebiet der Malerei und Grafik selbstständig und Nichtselbstständig als Künstler tätig gewesen und erzielte daraus seine Einkünfte, die seine alleinige Existenzgrundlage waren. Darüber hinaus war er bemüht durch Teilnahme an mehr als 100 Ausstellungen in einer für eine selbstständige künstlerische Tätigkeit typischen Weise seine Werke zu vermarkten; demgemäß wird er in einschlägigen Kunstlexika erwähnt.
14
Im Streitfall stellt es sich eher zufällig dar, dass der Kläger mit seiner selbstständigen Tätigkeit keinen Totalgewinn erwirtschaftete. Er erzielte insgesamt aus seiner selbstständig und Nichtselbstständig ausgeübten künstlerischen Tätigkeit positive Einkünfte. Die steuerrechtliche Einstufung seiner Einnahmen hing davon ab, ob seine Auftraggeber ihn als selbstständig oder Nichtselbstständig Tätigen mit der Durchführung der Projekte beauftragten. Die Absicht des Klägers, auch mit seiner selbstständigen Tätigkeit einen Totalgewinn zu erzielen, bleibt davon unberührt. Der Senat weicht insoweit nicht vom BFH-Urteil in BFHE 171, 558, BStBl II 1994, 510 ab, weil dort der Steuerpflichtige selbst nicht mehr geltend gemacht hatte, seine selbstständige Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht zu betreiben.
15
4.
Das FG hat --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- bisher keine Feststellungen zur Höhe des geltend gemachten Verlustes aus selbstständiger Arbeit getroffen. Die Sache wird deshalb zum Zweck der Überprüfung der Gewinnermittlung an das FG zurückverwiesen.
16
5.
Auf die Frage, ob das FG mit der Korrektur der "Schreibfehler" den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hat, kommt es aus den o.g. Gründen unter keinen Umständen mehr an.
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