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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Berufsgenossenschaft - Zuständigkeit
Berufsgenossenschaft - Zuständigkeit
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Arbeitgeber ist bei Auswahl der richtigen Berufsgenossenschaft nicht frei. Die Unfallversicherungsträger haben klar abgegrenzte Zuständigkeiten. Das entscheidende Kriterium ist der Wirtschaftszweig, in dem der Arbeitgeber tätig ist. Dabei profitiert er von der Sachnähe seiner BG und ihrer langen Erfahrung - vor allem im Bereich der Unfallverhütung. So werden Arbeitgeber durch die Berufsgenossenschaften mit vielfältigen Präventionsleistungen und -maßnahmen unterstützt - und das mit einem hohen Anspruch: Die "Menschen sollen sicher und gesund leben und arbeiten können."
Praxistipp:
Es gab eine Zeit, da sah die Anlage 1 zu § 114 in 35 Nummern eine Menge einzelner gewerblicher Berufsgenossenschaften vor. Dass so viele Unfallversicherer entstanden sind, ist historisch bedingt. Über die Jahre hinweg haben nun viele BGs fusioniert. Zurzeit (Stand: 01.07.2020) gibt es nur noch neun gewerbliche Berufsgenossenschaften - aber keine "freie Auswahl" unter den einzelnen Unfallversicherungsträgern. Eine aktuelle BG-Liste mit Anschriften, Telefon-/Telefaxnummern, Netzauftritten und Mailadressen lässt sich über die Netzseite des Spitzenverbandes der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung - DGUV - abrufen.
Die gewerblichen BGs sind für alle Unternehmen (Betriebe, Verwaltungen, Einrichtungen, Tätigkeiten) zuständig, soweit keine Zuständigkeit der landwirtschaftlichen BG oder eines Unfallversicherungsträgers der öffentlichen Hand greift (§ 121 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Der Sitz des Unternehmens entscheidet über die örtliche Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers (s. dazu Gliederungspunkt 2.). Die sachliche Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers folgt über § 114 Abs. 1 SGB VII (s. dazu Gliederungspunkt 3.). Abgrenzungsprobleme gibt es häufig bei Unternehmen, die in mehreren Wirtschaftszweigen tätig sind, oder bei Hilfs- und Nebenbetrieben. Einzelfragen werden im Rechtsprechungs-ABC beantwortet (s. dazu Gliederungspunkt 4.).
2. Örtlich
Die örtliche Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers bestimmt sich nach dem Unternehmenssitz (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).
Beispiel:
Spediteur S hat sein Stammhaus im westfälischen Münster. In der Nähe des Hamburger Hafens betreibt er ein Zwischen- und Auslieferungslager für Skandinavien und die baltischen Staaten, im Münchner Vorort Pleitling ein Zwischen- und Auslieferungslager für Österreich, Italien und den Balkan. Seine Ansprechpartnerin ist die für den Unternehmenssitz in Münster zuständige BG.
Gibt es keinen Firmensitz, gilt der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des Unternehmers als Sitz (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).
Beispiel:
Unternehmensberater U hat Anfang des Jahres die cons-U-lt GmbH gegründet. Er beschäftigt mehrere "Consultants", die jeweils von ihrer Wohnung aus Beratungstätigkeiten in insolvenzgefährdeten Betrieben ausüben. Die cons-U-lt GmbH hat kein eigenes Büro. U leitete das Unternehmen - zunächst - vom häuslichen Arbeitszimmer aus. Hier gilt Us Wohnsitz als Sitz des Unternehmens i.S. des § 130 Abs. 1 SGB VII.
Bei Arbeitsgemeinschaften gilt als Sitz des Unternehmens der Ort der Tätigkeit. Hat ein Unternehmen keinen Sitz im Inland, muss der Unternehmer einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland bestellen (§ 130 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Dieser Bevollmächtigte hat die Pflichten des Unternehmers (§ 130 Abs. 2 Satz 2 SGB VII). Als Unternehmenssitz i. S. des § 130 Abs. 2 Satz 1 SGB VII gilt
der Ort der Betriebsstätte im Inland - und wenn es keinen gibt
der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des Bevollmächtigten (§ 130 Abs. 2 Satz 3 SGB VII).
Ist kein Bevollmächtigter bestellt, "gilt als Sitz des Unternehmens Berlin" (§ 130 Abs. 2 Satz 4 SGB VII). Und § 130 Abs. 2a SGB VII ergänzt: "Sind auf eine Beschäftigung im Ausland für ein Unternehmen ohne Sitz im Inland nach über- oder zwischenstaatlichem Recht die Vorschriften dieses Buches anzuwenden, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherten im Inland."
3. Sachlich
§ 114 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nennt sieben unterschiedliche Unfallversicherungsträger. Soweit es die private Wirtschaft betrifft, sind die gewerblichen Berufsgenossenschaften zuständig (§ 114 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). In der Anlage 1 zu § 114 SGB VII sind in neun Nummern folgende gewerbliche BGs verzeichnet:
BG Rohstoffe und chemische Industrie
BG Holz und Metall
BG Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse
BG Nahrungsmittel und Gastgewerbe
BG der Bauwirtschaft
BG Handel und Warenlogistik
Verwaltungs-BG
BG Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation
BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
Sachlich zuständig ist immer die für den jeweiligen Wirtschaftszweig eingerichtete BG. Dabei kommt es wiederum darauf an, welche Betätigung Betrieb und Unternehmen prägen.
Beispiel:
Arbeitgeber A betreibt mehrere Einzelhandelsfilialen. Am Standort seiner Firmenzentrale hat er ein Zentrallager eingerichtet, über das er seine eigenen Filialen und fremde Gastronomie-Betriebe im Umland mit Lebensmitteln beliefert. Außerdem unterhält A an einigen Standorten in seinen Supermärkten Imbissbetriebe. A's unternehmerischer Schwerpunkt mit der weit überwiegenden Zahl von Mitarbeitern und Arbeitsstunden und dem meisten Umsatz liegt im Einzelhandel. A ist Mitglied der BG Handel und Warenlogistik. Er kann nicht in die BG Nahrungsmittel und Gastgewerbe wechseln.
Für Hilfs- und Nebenunternehmen gilt § 131 Abs. 1 SGB VII:
"Umfasst ein Unternehmen verschiedenartige Bestandteile (Hauptunternehmen, Nebenunternehmen, Hilfsunternehmen), ist der Unfallversicherungsträger zuständig, dem das Hauptunternehmen angehört)."
Im Ergebnis kann man sagen, dass für ein Unternehmen, das mehrere Zwecke verfolgt, immer die BG zuständig ist, die auch für das Hauptunternehmen die richtige ist.
Beispiel:
Unternehmer O ist Hersteller von Outdoor-Bekleidung und Sportswear. Er unterhält in X-Stadt ein Factory-Outlet, in dem er seine Produkte zu deutlich herabgesetzten Preisen an Letztverbraucher verkauft. O ist Mitglied der BG Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse. Das Factory-Outlet ist ein Nebenunternehmen des Einzelhandels. Über § 131 Abs. 1 SGB VII bleibt die BG Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse zuständig. Die BG Handel und Warenlogistik ist außen vor.
Unternehmer müssen dem zuständigen Unfallversicherungsträger ihre Tätigkeit binnen einer Woche nach Beginn des Unternehmens mitteilen (§ 192 Abs. 1 SGB VII - s. dazu auch Berufsgenossenschaft - Arbeitgeberpflichten). Der Unfallversicherungsträger stellt Beginn und Ende seiner Zuständigkeit mit einem schriftlichen Bescheid gegenüber dem Unternehmer fest (§ 136 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).
Praxistipp:
Ist eine BG der Auffassung, dass ein entschädigungspflichtiger Versicherungsfall vorliegt, für den eine andere BG zuständig ist, muss sie nach § 43 SGB I vorläufige Leistungen erbringen, wenn der andere Unfallversicherungsträger sich nicht für zuständig hält oder die Prüfung der Zuständigkeit nicht innerhalb von 21 Tagen abgeschlossen werden kann, § 139 Abs. 1 SGB VII.
Der Arbeitgeber muss seine Mitarbeiter darüber unterrichten, welcher Unfallversicherungsträger für ihn zuständig ist und wo die für Entschädigungen zuständige Geschäftsstelle ist (§ 138 SGB VII - s. dazu auch das Stichwort Berufsgenossenschaft - Arbeitgeberpflichten).
4. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Zuständigkeit von Berufsgenossenschaften in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet vorgestellt:
4.1 Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV
Stellt die Deutsche Rentenversicherung im Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV fest, dass der Berufstätige selbstständig ist, bejaht der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bei seiner Prüfung jedoch die Eigenschaft "Arbeitnehmer", kann sich der Berufstätige gegenüber dem Unfallversicherer nicht auf das Ergebnis des Anfrageverfahrens berufen. Die Entscheidung im Anfrageverfahren bindet den Unfallversicherungsträger nicht. Die Deutsche Rentenversicherung ist nach § 7a SGB IV nicht ermächtigt, für alle Zweige der Sozialversicherung eine einheitliche Entscheidung zu treffen. Sie entscheidet nur für die Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung (LSG Baden-Württemberg, 21.02.2013 - L 10 U 5019/11).
4.2 Gepräge
Die Zuständigkeit eines Versicherungsträgers richtet sich bei verschiedenartigen Bestandteilen eines Unternehmens danach, welchem Unfallversicherungsträger das Hauptunternehmen angehört. Das Hauptunternehmen muss den Schwerpunkt bilden. Dabei ist auf den Teil des Gesamtunternehmens abzustellen, der ihm das Gepräge gibt (LSG Schleswig-Holstein, 11.09.2003 - L 5 U 136/02).
4.3 Tarifliche Regelung
Der Bundes-Rahmentarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau in der Bundesrepublik Deutschland (nachfolgend: BRTV) gilt nach dessen § 1 Nr. 2 für die dort angesprochenen Betriebe, wenn sie u. a. "der Unfallversicherung bei der Gartenbau-Berufsgenossenschaft unterliegen". Um die Anwendbarkeit des BRTV bejahen zu können, muss die Gartenbau-BG für den Betrieb materiell-rechtlich zuständig sein. Insoweit ist es unerheblich, dass die BG ihre Zuständigkeit nur durch einen Bescheid festgestellt hat. Ebenso unerheblich ist es, wenn ein ausdrücklicher Feststellungsbescheid fehlt, obwohl die Zuständigkeit materiell-rechtlich zu bejahen ist (LAG Berlin-Brandenburg, 13.02.2014 - 21 Sa 745/13).
4.4 Überweisung
Die sachliche Zuständigkeit einer gewerblichen BG wird an Art und Gegenstand des Unternehmens festgemacht. War eine Feststellung falsch oder ändert sich Zuständigkeit nachträglich, überweist der unzuständige Versicherungsträger das Unternehmen nach § 136 Abs. 1 Satz 4 SGB VII an den richtigen. Dabei müssen für eine nachträgliche Änderung wesentliche Veränderungen im Betrieb vorliegen, die die Unternehmensstruktur grundlegend umgestaltet haben (BSG, 11.08.1998 - B 2 U 31/97 R).
Siehe auch