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BFH, 13.03.1974 - VI R 240/71 - Beendigung der Kirchensteuerpflicht; Gesetzliche Grundlage; Festsetzung; Wirksamkeit einer Norm
Bundesfinanzhof
Urt. v. 13.03.1974, Az.: VI R 240/71
Beendigung der Kirchensteuerpflicht; Gesetzliche Grundlage; Festsetzung; Wirksamkeit einer Norm
Rechtsgrundlagen:
§ 1 AustrG
§ 2 AustrG
§ 1 Kirchensteuerverordnung für das Saarland vom 20. Dezember 1935 (RGBl I 1935, 1527)
§ 18 Abs. 2 Saarländisches Kirchensteuergesetz
Fundstellen:
BFHE 112, 209 - 213
BStBl II 1974, 495
DStR 1974, 481 (amtl. Leitsatz)
BFH, 13.03.1974 - VI R 240/71
Amtlicher Leitsatz:
1. Für das Saarland bestimmte sich im Jahre 1965 die Beendigung der Kirchensteuerpflicht nach den Vorschriften der §§ 1 und 2 des Preußischen Staatsgesetzes betreffend den Austritt aus den Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts (AustrG) vom 30. November 1920 (Preußische Gesetzssammlung 1921 S. 119).
2. § 18 Abs. 2 des Saarländischen Gesetzes Nr. 926 über die Erhebung von Kirchensteuern im Saarland (Saarländisches Kirchensteuergesetz) vom 25. November 1970 (ABL 1970, 950, BStBl I 1971, 79) ist rechtswirksam; die Kirchensteuer war im Jahre 1965 mit 10 v. H. der Einkommensteuer festzusetzen.
Tatbestand:
1
Bei der Zusammenveranlagung des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) mit seiner Ehefrau setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) u. a. die evangelische Kirchensteuer mit 688,60 DM, d. h. in Höhe von 10 v. H. der Einkommensteuerschuld für 1965 von 6 886 DM, fest. Der Kläger, der angab, am 26. Februar 1965 aus der evangelischen Kirche ausgetreten zu sein, hatte demgegenüber beantragt, eine Kirchensteuer nur zeitanteilig für die Zeit seiner Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche anzusetzen. Diesem Antrage hatte das FA nicht entsprochen.
2
Einspruch und Klage blieben auch insoweit ohne Erfolg. Das FG führte u. a. folgendes aus:
3
1. Für die Erhebung der Kirchensteuer habe die Kirchensteuerverordnung für das Saarland vom 20. Dezember 1935 -- KiStVO -- (RGBl I 1935, 1527) gegolten. Die KiStVO für das Saarland sei aufgrund des Gesetzes über die vorläufige Verwaltung des Saarlandes vom 30. Januar 1935 (RGBl I 1935, 66) erlassen worden, und zwar aufgrund der Ermächtigung in § 7 Abs. 1 dieses Gesetzes. Sie habe zur Zeit des Inkrafttretens der Verfassung des Saarlandes vom 15. Dezember 1947 -- SVerf -- (Amtsblatt des Saarlandes 1947 S. 1077 -- ABl 1947, 1077 --) und weiter gemäß Art. 132 SVerf gegolten. Mit Inkrafttreten des GG im Saarland am 1. Januar 1957 seien die Vorschriften der KiStVO für das Saarland in Kraft geblieben, soweit sie dem GG nicht widersprochen hätten (Art. 123 Abs. 1 GG). Nach § 1 KiStVO würden die Kirchensteuern im Saarland von allen nach bisherigem Recht Kirchensteuerpflichtigen als Zuschlag zur Reichseinkommensteuer einschließlich der Lohnsteuer erhoben. Nach dem Kirchengesetz betreffend die Erhebung von Kirchensteuern in den Kirchengemeinden und Parochialverbänden der evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen vom 26. Mai 1905 (Kirchliches Gesetz- und Verordnungsblatt 1905 S. 31 -- KGVBl 1905, 31 --) seien alle Evangelischen, welche der Kirchengemeinde durch ihren Wohnsitz angehören, kirchensteuerpflichtig. Wegen der Beendigung der Kirchensteuerpflicht werde auf das Gesetz betreffend den Austritt aus der Kirche vom 14. Mai 1873 verwiesen. Heute sei der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft für das Saarland durch das Preußische Staatsgesetz betreffend den Austritt aus den Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts vom 30. November 1920 -- AustrG -- (Preußische Gesetzsammlung 1921 S. 119 -- GS 1921, 119 --) geregelt. Dieses Gesetz sei durch die Zweite Verordnung über die Einführung preußischer staatsgesetzlicher Vorschriften über kirchliche Angelegenheiten im Saarland vom 29. März 1938 (RGBl I 1938, 350) am 1. April 1938 im Saarland in Kraft getreten.
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2. Nach § 1 Abs. 1 AustrG habe, wer aus einer Religionsgesellschaft öffentlichen Rechts mit bürgerlicher Wirkung austreten will, den Austritt bei dem Amtsgericht seines Wohnsitzes zu erklären. Die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung träten einen Monat nach dem Eingang der Erklärung bei dem Amtsgericht ein. Nach § 2 Abs. 1 AustrG bewirke die Austrittserklärung die dauernde Befreiung des Ausgetretenen von allen Leistungen, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zu der Religionsgesellschaft beruhen. Die Befreiung trete ein mit dem Ende des ablaufenden Steuerjahres, jedoch nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Abgabe der Erklärung. Diese Vorschriften seien -- entgegen einer früher vom FG vertretenen Auffassung -- auch nach Inkrafttreten des GG im Saarland am 1. Januar 1957 noch geltendes Recht. Auch das BVerwG halte in seinem Urteil vom 27. Februar 1970 VII C 43/69 (NJW 1970, 1433 [OLG Frankfurt am Main 08.01.1970 - 2 Ws 193/69]) die Vorschrift des § 2 Abs. 1 AustrG mit dem Grundgesetz für vereinbar. Diese Vorschrift lasse erkennen, daß der Gesetzgeber das Interesse der Austretenden an einem sofortigen Erlöschen der Kirchensteuerpflicht und die Interessen der Religionsgesellschaften und ihrer Gemeinden, insbesondere auch an dem Eingang der Kirchensteuern, mit dem bei der Aufstellung der kirchlichen Haushaltspläne gerechnet werden durfte, mit Recht anerkannt und gegeneinander abgewogen habe. Die Regelung sei ein Kompromiß zwischen den widerstreitenden Interessen.
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3. Die Kirchensteuer sei auch zutreffend mit 10 v. H. der Einkommensteuer erhoben worden. Durch die Rechtsverordnung vom 29. Juni 1959 (ABl 1959, 1072) zur Änderung des Erlasses betreffend die Änderung der Zuschläge (Kirchensteuer) zur Einkommensteuer (Lohnsteuer) für die katholischen, evangelischen und altkatholischen Kirchengemeinden und -verbände und der Synagogengemeinde Saar vom 15. November 1948 (ABl 1948, 1471) sei die Kirchensteuer auf 10 v. H. der Einkommensteuer festgesetzt worden. Der saarländische Gesetzgeber habe durch § 18 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 926 vom 25. November 1970 (ABl 1970, 950, BStBl I 1971, 79) bestimmt, daß diese Rechtsverordnung vom Tage nach ihrer Verkündung Gesetzeskraft erlange. Dadurch habe der Gesetzgeber, selbst wenn die Rechtsverordnung ungültig gewesen sein sollte, den Hundertsatz, der als Kirchensteuer von der Einkommensteuer zu erheben ist, rückwirkend von 8 v. H. auf 10 v. H. erhöht. Zwar dürfe der Bürger im Regelfall darauf vertrauen, daß ihm keine öffentlichen Lasten rückwirkend auferlegt würden. Hiervon gebe es aber Ausnahmen (Beschluß des BVerfG vom 15. November 1967 2 BvL 7, 20, 22/64, BVerfGE 22, 330). Das Vertrauen sei sicher dann nicht schutzwürdig, wenn der Bürger in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen werde, mit dieser Regelung habe rechnen müssen (Urteil des BVerfG vom 30. April 1952 1 BvR 14, 25, 167/52, BVerfGE 1, 264, und Beschluß des BVerfG vom 12. November 1958 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57, BVerfGE 8, 274). Im Streitfall hätten alle Kirchensteuerpflichtigen seit 1959 mit einer Belastung in Höhe von 10 v. H. gerechnet. Bedenken gegen die Gültigkeit der Rechtsverordnung vom 29. Juni 1959 seien erst durch frühere Entscheidungen des FG erhoben worden. Der Gesetzgeber könne deshalb nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht gehindert sein, den formellen Fehler zu berichtigen und die in ihrer Gültigkeit umstrittene Bestimmung auch mit Wirkung für denjenigen, der sie anficht, rückwirkend durch eine gültige Norm zu ersetzen.
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Der Kläger rügt mit der Revision Verletzung des Art. 4 GG. Eine steuerrechtliche Regelung dahin, daß die Kirchensteuerpflicht mit dem Tag der Wirksamkeit des Kirchenaustritts ende, sei nicht nur verfassungsrechtlich geboten, sondern auch technisch möglich. In die Haushaltsberechnung der Religionsgemeinschaft ließe sich nämlich leicht die Austrittsquote einbeziehen, weil die Statistiken genaue Zahlen lieferten. Das FG verkenne, daß Steuern, die nach dem Austritt erhoben werden, Steuern eines Nichtmitglieds seien. Dies hätte sogar zur Folge, daß der Ausgetretene, der in eine andere Religionsgemeinschaft eintreten wolle, für eine Zeitlang doppelte Kirchensteuer zahlen müsse. Das FG lasse auch außer acht, daß der Staat einer Religionsgemeinschaft keine Hoheitsbefugnisse gegenüber Nichtmitgliedern verleihen dürfe, wie das BVerfG in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 1965 1 BvL 31,32/62 (BVerfGE 19, 226) bereits festgestellt habe.
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Der Kläger beantragt, den Steuerbescheid für 1965 über Kirchensteuer dahin abzuändern, daß die in Ansatz gebrachte evangelische Kirchensteuer mit Wirkung vom 26. Februar 1965 nicht mehr angesetzt wird.
Entscheidungsgründe
8
Der Senat schließt sich der Auffassung des BVerwG (Urteil VII C 43/69) an, soweit der Kläger die Regelung des § 2 Abs. 1 AustrG für mit dem GG nicht vereinbar ansieht. Mit Recht betont das BVerwG, daß für die Nachprüfung von Gesetzen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG Schranken bestehen und daß nur geprüft werden kann, ob der Gesetzgeber die äußersten Grenzen seines Ermessensbereichs überschritten hat, nicht aber, ob er im einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. In der Regelung, daß ein erklärter Kirchenaustritt grundsätzlich erst zum Ende des Kalenderjahres die Kirchensteuerpflicht erlöschen läßt, hat das BVerwG mit Recht einen Kompromiß zwischen den widerstreitenden Interessen des Austretenden und der Kirche gesehen. Das GG gewährleistet nicht nur in Art. 4 die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, sondern auch in Art. 140 in Verbindung mit Art. 137 Abs. 2 der WRV die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften. Wenn also das BVerwG bei seiner Beurteilung auch auf die Interessen der Kirchen abstellt, so hält es sich damit durchaus im Bereich der grundgesetzlich geschützten Rechte.
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Es ist des weiteren zu bedenken, daß oft auch in anderen Fällen, in denen eine Mitgliedschaft in einem eingetragenen Verein oder einer anderen Vereinigung aufgegeben wird, satzungsgemäß oder vereinbarungsgemäß eine Kündigungsfrist bis zum Ende des laufenden Kalenderjahres vorgesehen ist. Für den Austritt eines Genossen aus einer Genossenschaft ist diese Regelung in § 65 Abs. 2 des GenG sogar ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben.
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Diese Überlegungen werden auch nicht davon berührt, daß die formelle Zugehörigkeit zur Kirche bereits einen Monat nach Erklärung des Kirchenaustritts endet. Es kann dahingestellt bleiben, aus welchen Erwägungen heraus der Gesetzgeber die Zugehörigkeit zur Kirche zu einem anderen Termin enden läßt als die Kirchensteuerpflicht. Jedenfalls ist, wie das BVerwG zutreffend festgestellt hat, auch das Hinausschieben des Endes der Kirchensteuerpflicht bis zum Ende des Kalenderjahres eine Auswirkung der Kirchenmitgliedschaft, so daß insoweit von einer Besteuerung eines Nichtmitglieds nicht gesprochen werden kann. Dabei kann es dahingestellt bleiben, wie zu entscheiden wäre, wenn der Kläger sogleich einer anderen Kirche wieder beigetreten wäre; denn dies wäre ein anderer, im Streitfall jedenfalls nicht gegebener Sachverhalt.
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Es liegt hiernach weder eine Verletzung des Art. 3 noch eine Verletzung des Art. 4 GG vor.
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Gegen die Rechtsgültigkeit der KiStVO für das Saarland als Grundlage für die Kirchensteuererhebung im Saarland werden von keiner Seite Bedenken geltend gemacht. Soweit Bedenken gegen die Rechtsverordnung vom 29. Juni 1959 und den Erlaß vom 15. November 1948, den diese Rechtsverordnung änderte, bestanden haben, sind sie durch das Gesetz Nr. 926 vom 25. November 1970, das der Rechtsverordnung vom 29. Juni 1959 rückwirkend Gesetzeskraft verliehen hat, ausgeräumt worden. Sowohl die Rechtsverordnung als auch der Erlaß hatten Bedeutung lediglich wegen der Höhe des Steuersatzes, der in der KiStVO für das Saaarland nicht unmittelbar festgelegt ist. Auch gegen die rückwirkende Erhebung der Rechtsverordnung, die den Steuersatz von 8 auf 10 v. H. anhob, zum Gesetz bestehen keine Bedenken. Das BVerfG hat bereits in seinem Beschluß 2 BvL 7, 20, 22/64 ausgesprochen, daß der Gesetzgeber den Inhalt einer ungültigen Rechtsverordnung grundsätzlich zum Gesetzesrang erheben kann. Dadurch, daß es im Streitfall mit Rückwirkung geschehen ist, wird das Gebot des Vertrauensschutzes, auf das das BVerfG ebenfalls hinweist, nicht verletzt. Denn die Erhebung der Rechtsverordnung zum Gesetz beseitigt lediglich einen rechtlichen Unsicherheitszustand, überrascht den Bürger aber nicht etwa mit einer unvorhersehbaren Steuererhöhung. Auch im Falle der Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951 hat der Gesetzgeber den Weg, die Verordnung rückwirkend in Gesetzesrang zu erheben, gewählt, nachdem das BVerfG durch Beschluß vom 30. Januar 1968 2 BvL 15/65 (BStBl II 1968, 296) die Ermächtigung in Art. II Nr. 2 Buchst. e des Gesetzes zur Änderung des EStG und des KStG vom 29. April 1950 (BGBl I 1950 95), auf der die Verordnung beruhte, für nichtig erklärt hatte. Der BFH hat mit Urteil vom 29. Januar 1970 IV R 196, 213--215/68 (BFHE 98 410, BStBl II 1970, 419) ausgesprochen, daß verfassungsrechtliche Bedenken gegen die rückwirkende Inkraftsetzung der Vorschriften der auf einer formungültigen Ermächtigung beruhenden Verordnung nicht bestehen.