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BFH, 31.10.1975 - VIII B 14/74 - Antrag auf Aussetzung der Vollziehung einer Verfügung; Prüfungsumfang; Zweifel an Rechtmäßigkeit des Leistungsgebotes; Zweifel an Rechtmäßigkeit der Fristverkürzung
Bundesfinanzhof
Beschl. v. 31.10.1975, Az.: VIII B 14/74
Antrag auf Aussetzung der Vollziehung einer Verfügung; Prüfungsumfang; Zweifel an Rechtmäßigkeit des Leistungsgebotes; Zweifel an Rechtmäßigkeit der Fristverkürzung
Rechtsgrundlagen:
§ 1 Abs. 1 S. 1 StSäumG
Fundstellen:
BFHE 117, 215 - 219
BStBl II 1976, 258
BFH, 31.10.1975 - VIII B 14/74
Amtlicher Leitsatz:
1. Beantragt der Steuerpflichtige die Aussetzung der Vollziehung einer Verfügung, mit der das FA Säumniszuschläge angefordert hat, so ist im Rahmen dieses Verfahrens zu prüfen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Leistungsgebotes bestehen, das den Zeitpunkt der Fälligkeit bestimmt.
2. Es ist ernstlich zweifelhaft, daß ein Leistungsgebot, das bei einem die Höhe der anzurechnenden Vorauszahlungen ändernden Berichtigungsbescheid (Anrechnungsverfügung) eine kürzere als die in § 47 Abs. 2 EStG vorgesehene Einmonatsfrist bestimmt, rechtsmäßig ist.
3. Auch die Vollziehung eines Leistungsgebotes kann ausgesetzt werden.
Tatbestand:
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Streitig ist,
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1. ob die Vollziehung eines gegen den Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ergangenen Bescheides, mit dem der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das FA) Säumniszuschläge angefordert hat, deshalb auszusetzen ist, weil ernstliche Zweifel an der Fälligkeit der Abschlußzahlung bestehen,
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2. ob dem Antragsteller die Kosten des nach übereinstimmender Erklärung in der Hauptsache erledigten Rechtsstreits (Aussetzung der Vollziehung eines Leistungsgebotes) wegen fehlender Erfolgsaussichten auferlegt werden können.
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Das FA hatte dem Antragsteller den Einkommensteuerbescheid 1971 am 5. November 1973 direkt zugesandt und die Abschlußzahlung in Höhe von 187 261,10 DM zum 8. Dezember 1973 fälliggestellt. Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller durch seinen Steuerberater mit Schreiben vom 5. November 1973 Einspruch einlegen.
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Das FA gab den Einwendungen im wesentlichen statt. Infolge einer abweichenden Aufteilung der im Streitjahr geleisteten Vorauszahlungen zugunsten der Erben seiner verstorbenen Ehefrau erhöhte es jedoch die Abschlußzahlung um 362 030,20 DM. Das FA stellte den Gesamtbetrag der Abschlußzahlung zum 8. Dezember 1973 fällig. Den gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO berichtigten Einkommensteuerbescheid vom 6. Dezember 1973 sandte es dem Steuerberater zu.
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Der Antragsteller legte auch gegen diesen berichtigten Bescheid Einspruch ein; gegen die Fälligstellung erhob er Beschwerde mit dem Antrag, das Leistungsgebot zu berichtigen. Darüber hinaus begehrte er Aussetzung der Vollziehung der erhöhten Abschlußzahlungen durch das FA. Das FA hat über die Rechtsbehelfe noch nicht entschieden. Die mit Bescheid vom 5. November 1973 zunächst fälliggestellte Abschlußzahlung leistete der Antragsteller am 7. Dezember 1973.
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In einem Mahnschreiben vom 14. Dezember 1973 forderte das FA die rückständigen Steuerbeträge und gleichzeitig Säumniszuschläge in Höhe von 3 358 DM an. Der Antragsteller ging davon aus, daß das FA damit seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt habe. Er beantragte deshalb beim FG,
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1. die Vollziehung der Abschlußzahlung bis zur Entscheidung über seine Beschwerde gegen das in dem Steuerbescheid vom 6. Dezember 1973 enthaltene Leistungsgebot auszusetzen,
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2. die Vollziehung der angefochtenen Säumniszuschläge von 3 358 DM bis zum Ablauf von 14 Tagen auf die Entscheidung des FA über seine dagegen gerichtete Beschwerde vom 19. Dezember 1973 auszusetzen.
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Er hält den berichtigten Bescheid vom 6. Dezember 1973 -- weil er nicht ihm selbst, sondern seinem Steuerberater zugestellt worden sei -- für nichtig und die Fälligstellung der Abschlußzahlungen zum 8. Dezember 1973 für unzulässig. Er habe weder einen dahin gehenden Antrag gestellt noch seine Zustimmung zur Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 94 AO erteilt und sei vor Erlaß des Berichtigungsbescheides nicht gehört worden.
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Am 9. Januar 1974 wies er den streitigen Geldbetrag mit Ausnahme der Säumniszuschläge an die Finanzkasse zur Zahlung an und erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit Schreiben vom 22. Januar 1974 -- beim FG eingegangen am 23. Januar 1974 -- bestätigte das FA seine fernmündlich abgegebene Erledigungserklärung.
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Durch Beschluß vom 22. Januar 1974 legte das FG die Kosten des Verfahrens nach § 138 Abs. 1 FGO dem Antragsteller auf, weil sein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Abschlußzahlungen keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Säumniszuschläge lehnte es ab, weil der für die ursprünglich festgesetzten Abschlußzahlungen angegebene Fälligkeitstag auch für den berichtigten Bescheid maßgebend sei.
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Mit der dagegen erhobenen Beschwerde beantragt der Antragsteller, die Entscheidung des FG aufzuheben und
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1. seinem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Säumniszuschläge stattzugeben,
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2. die Kosten des erledigten Rechtsstreits dem FA aufzuerlegen.
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Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
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I. Säumniszuschläge
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Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. § 69 Abs. 2 FGO soll das Gericht die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung auf Antrag aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Es ist -- bei der gebotenen summarischen Prüfung der angefochtenen Bescheide (vgl. Beschluß des BFH vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182) -- ernstlich zweifelhaft, ob Säumniszuschläge verwirkt sind.
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1. Säumniszuschläge sind verwirkt, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird (§ 1 Abs. 1 Satz 1 StSäumG). Wann eine Steuer fällig wird, ergibt sich entweder aus den Einzelsteuergesetzen, aus § 271 Abs. 1 BGB oder der Fristsetzung durch das FA (§ 99 AO). Im Streitfall ist der Fälligkeitstag im Leistungsgebot (§ 211 Abs. 2 Nr. 2 AO) des Steuerbescheides ausdrücklich bestimmt. Gegen die Rechtmäßigkeit dieses Leistungsgebotes und damit gegen die Rechtmäßigkeit der die Säumniszuschläge anfordernden Verfügung bestehen erhebliche Bedenken.
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a) Im Rahmen des anhängigen Aussetzungsverfahrens kann auch die Rechtmäßigkeit der Fälligstellung der Abschlußzahlungen durch das FA geprüft werden. Zwar ist das Leistungsgebot als Verfügung (§ 326 Abs. 3 Nr. 1 AO) solange wirksam und deshalb der Fälligkeitszeitpunkt als Voraussetzung der Verwirkung von Säumniszuschlägen solange verbindlich geregelt, bis es aufgehoben ist. Besteht jedoch zwischen zwei Verfügungen ein so enger innerer Zusammenhang, daß die Aufhebung der vorausgehenden Verfügung der davon abhängigen, nachfolgenden Verfügung die Grundlage entziehen würde, dann umfaßt die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der abhängigen Verfügung auch die Überprüfung der vorausgehenden Verfügung mit (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 11. Oktober 1961 VII 13, 14, 15/61 U, BFHE 73, 843, BStBl III 1961, 572 und vom 7. April 1964 VII 152/62 U, BFHE 79, 237, BStBl III 1964, 317, für das Verhältnis von Androhungsverfügung und Festsetzungsverfügung nach § 202 AO). Es reicht deshalb für die Begründung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung von Säumniszuschlägen aus, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Leistungsgebotes geltend gemacht werden (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 22. Oktober 1971 II S 8/71, BFHE 103, 312, für das Verhältnis von Steuerbescheid und Anforderungsverfügung).
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b) Gegen die Rechtmäßigkeit des Leistungsgebots sprechen gewichtige Gründe.
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Die Steuer muß bei Abschlußzahlungen aufgrund einer Berichtigungsveranlagung -- nicht anders als bei Abschlußzahlungen nach erstmaliger Veranlagung -- spätestens innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe des Berichtigungsbescheids bezahlt werden (vgl. § 47 Abs. 2 EStG und -- für Berichtigungsbescheide -- BFH-Urteil vom 23. Februar 1959 III ZR 237/57, StRK, Umsatzsteuergesetz 1951, § 13, Rechtsspruch 8). Vor diesem Zeitpunkt sind weder Vollstreckungsmaßnahmen zulässig noch sind Säumniszuschläge verwirkt (§ 1 Abs. 3 StSäumG). Das FA kann keine kürzere Frist bestimmen (vgl. z. B. Becker/Riewald/Koch, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., 1963, § 99 Abs. 2 AO). Ein Leistungsgebot, das dies nicht beachtet, ist rechtswidrig und auf die Beschwerde des Steuerpflichtigen hin abzuändern (§§ 230, 326 Abs. 3 Nr. 1 AO).
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Nach Ansicht des Senats gelten diese Grundsätze auch bei einer Berichtigung der Anrechnungsverfügung (vgl. zu dieser z. B. BFH-Urteil vom 11. November 1966 VI R 68/66, BFHE 87, 514, BStBl III 1967, 214; BFH-Beschluß vom 10. Juli 1970 VI B 2/69, BFHE 99, 350, BStBl II 1970, 686). Die Höhe der Abschlußzahlungen ergibt sich aus der Höhe der Steuerschuld und -- im Streitfall -- der Höhe der anzurechnenden Vorauszahlungen. Für eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Voraussetzungen der Abschlußzahlung gibt das Gesetz keinen Anhaltspunkt. Es hält die Monatsfrist für ausreichend, aber auch für erforderlich, damit sich der Steuerpflichtige auf die Abschlußzahlung einstellen kann (vgl. dazu Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz 1925, 2. Bd. 1929, § 102 Anm. 6). Sinn und Zweck der Frist fordern eine Änderung des Leistungsgebots entsprechend der Änderung der Abschlußzahlung auch dann, wenn sich die Abschlußzahlung durch eine geringere Anrechnung von Vorauszahlungsbeträgen erhöht.
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II. Kosten
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Die Kosten sind nach § 138 Abs. 1 FGO dem FA aufzuerlegen.
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1. Es ist nur noch über die Kosten des Aussetzungsverfahrens zu entscheiden. Die Hauptsache ist infolge der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten als erledigt zu behandeln. Eine schriftliche Erledigungserklärung des FA befindet sich in den Akten. Sie lag dem FG im Zeitpunkt der Entscheidung darüber, ob der Beschwerde abzuhelfen ist, vor (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 28. März 1974 IV B 58/73, BFHE 112, 171, BStBl II 1974, 459). In einem solchen Fall ist die Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffen (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom 10. November 1971 I B 14/70, BFHE 104, 39, BStBl II 1972, 222, und vom 18. September 1974 II B 11/74, BFHE 113, 352, BStBl II 1975, 41).
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2. Nach § 138 Abs. 1 FGO entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens. Im Streitfall erscheint es billig, dem FA die Kosten in vollem Umfang aufzuerlegen.
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a) Es ist ohne Bedeutung, daß das FA über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Abschlußzahlung im Zeitpunkt der weiteren Antragstellung beim FG noch nicht entschieden hatte. Folgen für die Kostenentscheidung ergeben sich hieraus nicht. Der Steuerpflichtige kann das Gericht unmittelbar anrufen, wenn die zur Aussetzung der Vollziehung befugte Behörde in ihm den Eindruck erweckt hatte, sie werde die Aussetzung nicht gewähren, oder weil er mit Rücksicht auf die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit des gerichtlichen Schutzes bedurfte (vgl. BFH-Entscheidung I B 14/70). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
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b) Der Antrag hatte -- bei der im Rahmen der Überprüfung von Kostenentscheidungen nach Erledigung der Hauptsache gebotenen überschlägigen Prüfung (vgl. z. B. Beschluß des BFH vom 1. April 1971 I B 37, 39/70, BFHE 102, 30, BStBl II 1971, 529) -- Aussicht auf Erfolg. Er war -- entgegen der Ansicht des FG, das allenfalls eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO für zulässig hielt -- als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statthaft. Auch die Vollziehung eines Leistungsgebots kann ausgesetzt werden. Das Leistungsgebot ist -- wie sich aus § 326 Abs. 3 Nr. 1 AO ergibt -- ein Verwaltungsakt (herrschende Meinung vgl. Becker/Riewald/Koch, a. a. O., § 326 Anm. 4 a Abs. 2; Mattern/Meßmer, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Tz. 1489 und 471; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 326 AO, Anm. 10 d; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 326 AO Anm. 3 Nr. 1 Abs. 3). Es regelt, wann, wo und wie die -- nach Verrechnung mit den Vorauszahlungen noch verbleibende -- Steuerschuld zu erfüllen ist. Die Aussetzung seiner Vollziehung bewirkt, daß das FA -- wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der festgesetzten Leistungsmodalitäten bestehen -- alle Maßnahmen zu unterlassen hat, die den Bestand und die Rechtmäßigkeit des Leistungsgebots voraussetzen, also insbesondere alle Vollstreckungsmaßnahmen. Die Möglichkeit, die Vollziehung auszusetzen, ist -- wie sich z. B. hinsichtlich der einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen aus § 150 Satz 3 FGO ergibt -- nicht auf die die Steuer festsetzende Verfügung beschränkt; der mit der Besteuerung verbundene Eingriff ist erst mit der letzten Vollstreckungsmaßnahme abgeschlossen. Vorläufigen Rechtsschutz gegen die zur Verwirklichung des Steueranspruchs ergangenen Verfügungen gewährt die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO, nicht die einstweilige Anordnung nach § 114 FGO.
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Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Leistungsgebots war -- wie sich aus den Ausführungen zu I ergibt -- auch begründet.