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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Stolpersteine - Einfühlungsverhältnis
Stolpersteine - Einfühlungsverhältnis
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Beim Einfühlungsverhältnis geht es darum, einem Bewerber um einen Arbeitsplatz bzw. eine Ausbildungsstelle Gelegenheit zu geben, den Betrieb kennen zu lernen. Umgekehrt kann auch der (künftige) Arbeitgeber ergänzend zu den bisher gewonnenen Eindrücken weitere wichtige Informationen erhalten. Viele Bewerber bieten von sich aus an, zunächst einmal ohne Vergütung auf Probe zu arbeiten. Doch Vorsicht: Es gibt Spielregeln, die einzuhalten sind, da sich ansonsten weitreichende Konsequenzen ergeben können.
2. Grundlagen, Ziel
Der Begriff "Einfühlungsverhältnis" wurde von der Rechtsprechung entwickelt - in der betrieblichen Praxis wird häufig auch vom "Schnupperpraktikum" gesprochen. Schon daraus kann man ableiten, dass auf beiden Seiten eine weitgehende Unverbindlichkeit akzeptiert werden muss: Vom Einfühlungsverhältnis zu unterscheiden ist die Probearbeit, bei der der jeweilige Mitarbeiter einige Tage zur Probe – gegen Bezahlung – arbeitet. Dabei handelt es sich um ein Arbeitsverhältnis mit allen Konsequenzen – z.B. die Pflicht zur Entlohnung, die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers, die Steuer- und die Sozialversicherungspflicht. Auch der Mindestlohn ist zu beachten. Es handelt sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis – die Befristung muss schriftlich vereinbart werden. Von der Probearbeit zu unterscheiden ist die Probezeit. Dabei wird ein reguläres Arbeitsverhältnis vereinbart; während der Probezeit gilt lediglich eine verkürzte Kündigungsfrist. Während beim Probearbeitsverhältnis somit bereits arbeitsrechtliche Verpflichtungen eingegangen werden, ist dies beim Einfühlungsverhältnis nicht der Fall. Vielmehr sollen vor einer endgültigen Bindung im Rahmen eines Arbeits- oder Ausbildungsvertrages die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit geklärt werden.
Praxistipp:
Auch ein Probearbeitsverhältnis, bei dem eine Arbeitszeit vereinbart ist, aber keine Vergütung gezahlt wird, kann ein Beschäftigungsverhältnis i.S.d. SGB III sein. Ist die betreffende Person arbeitslos gemeldet, sollte daher auch ein Einfühlungsverhältnis bzw. das Probearbeitsverhältnis der Bundesagentur gemeldet werden, um Rückforderungen zu vermeiden (vgl. hierzu LSG Niedersachsen-Bremen, 25.01.2021 – L 11 AL 15/19).
Insbesondere wird dem Arbeitnehmer Gelegenheit gegeben, seinen künftigen Arbeitsplatz, den Betrieb, die Abläufe und die Arbeitsgegebenheiten kennen zu lernen. Der Arbeitgeber kann ergänzend zu den Bewerbungsunterlagen und den Eindrücken aus dem Vorstellungsgespräch Informationen über die Person und die Arbeitsweise des Kandidaten erhalten.
Eventuelle Bedenken hinsichtlich einer Einstellung können so ausgeräumt werden. Das Einfühlungsverhältnis wird daher auch als "verlängertes Bewerbungsverfahren" bezeichnet. Hintergrund muss folglich eine konkret zu besetzende Stelle sein. Das Einfühlungsverhältnis wird auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage von den Gerichten im Rahmen der Vertragsfreiheit als ein loses Rechtsverhältnis eigener Art anerkannt (vgl. z.B. LAG Bremen, 25.07.2002 - 3 Sa 83/02). Sein Sinn und Zweck besteht auch nach der Rechtsprechung darin, einen Betrieb kennenzulernen und zu klären, ob ein Bewerber in einen Betrieb passt (LAG München, 09.05.2016 - 10 Sa 690/15). Mit dieser Zweckbestimmung ist das Einfühlungsverhältnis von anderen Vertragstypen abzugrenzen, bei denen ebenfalls eine Tätigkeit im Betrieb aufgenommen wird, diese aber anderen Zwecken dient (LAG Köln, 13.10.2017 – 4 Sa 930/16).
3. Inhalt
Beim Einfühlungsverhältnis ist der Bewerber zwar im Betrieb, der Arbeitgeber kann ihm gegenüber auch sein Hausrecht ausüben. Er ist aber nicht an Arbeitszeiten gebunden und untersteht auch nicht dem Weisungsrecht (§ 106 GewO). Zulässig ist es, wenn Tätigkeiten ausgeübt werden, die primär dazu dienen, die Arbeit näher kennen zu lernen. Eine unmittelbare Arbeitspflicht besteht aber nicht.
Auf der anderen Seite hat der Bewerber keinen Anspruch auf Vergütung. Teilweise wird die Auffassung vertreten, eine angemessene Entschädigung für den Zeitaufwand (nicht für die geleistete Arbeit!) sei zulässig (weitergehender: LAG Hamm, 24.05.1989 - 15 Sa 18/89). Problematisch ist aber dann der Nachweis, dass es sich nicht um Arbeitsentgelt handelt.
Praxistipp:
Sofern Sie (ausnahmsweise) eine Entschädigung für den Zeitaufwand zahlen, ist es wichtig, in der Vereinbarung (Abschnitt 5) deutlich darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um eine Vergütung für die geleistete Arbeit handelt.
Unschädlich ist es, wenn die Erstattung von Auslagen (wie Fahrt- und Übernachtungskosten) vereinbart wird.
4. Dauer
Entsprechend seinem Ziel ist das Einfühlungsverhältnis auf wenige Tage begrenzt - Rechtsprechung und Literatur gehen im Regelfall von maximal einer Woche aus. Dabei ist es zulässig, die Dauer nach der Eingangsqualifikation des Bewerbers und den Anforderungen der angestrebten Tätigkeit zu differenzieren. Bei - im Verhältnis zur Qualifikation des Bewerbers - sehr komplexen Arbeitsvorgängen kann die Schnupperphase nach Meinungen in der Literatur länger - bis maximal zehn Arbeitstage - dauern. Je länger das Einfühlungsverhältnis besteht, je mehr spricht aber dafür, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt.
5. Vertrag
Aus Beweisgründen ist es für beide Seiten sinnvoll und zu empfehlen, die Bedingungen des Einfühlungsverhältnisses vor Beginn der Tätigkeit schriftlich zu fixieren.
Der Vertrag könnte wie folgt abgefasst werden:
Zwischen (Bezeichnung des Betriebes) und (Name des Bewerbers mit Geburtsdatum und Wohnort) wird folgendes vereinbart:
Frau/Herr (Name, Vorname) erhält vom (Datum) bis (Datum) Gelegenheit, den zu besetzenden Arbeitsplatz als (Bezeichnung) und den Betrieb kennen zu lernen. Die Anwesenheit und die ausgeübten Tätigkeiten sind freiwillig. Es besteht kein Weisungsrecht des Arbeitgebers und keine Bindung an Arbeitszeiten. Darüber hinaus besteht kein Anspruch auf Vergütung. Beide Seiten können das Einfühlungsverhältnis jederzeit durch einseitige Erklärung beenden.
Die Tätigkeit führt nicht zur Sozialversicherungspflicht. Es besteht keine Versicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung und keine Haftpflicht des Betriebes.
Es erfolgt eine Einweisung in die zu beachtenden Unfallverhütungsvorschriften (und/oder) eine Verpflichtung auf den Datenschutz. Der Bewerber versichert, dass er die Regelungen über den Datenschutz, auch nach Beendigung des Einfühlungsverhältnisses einhalten wird.
Für schuldhaft verursachte Schäden am Betriebsvermögen kann Frau/Herr (Name) schadenersatzpflichtig sein. Es wird vorausgesetzt, dass eine private Haftpflichtversicherung besteht.
(Ort/Datum) (Unterschriften Betrieb und Bewerber)
Ohne eine solche Vereinbarung entstehen schnell Meinungsverschiedenheiten über den rechtlichen Charakter der Tätigkeit - insbesondere, wenn der Bewerber letztlich eine Absage erhält. Zwar muss in einem solchen Fall der Arbeitnehmer beweisen, dass ein Arbeitsverhältnis vorlag (LAG Rheinland-Pfalz, 24.05.2007 - 2 Sa 87/07) - bei unklaren Absprachen kann der Betrieb aber schnell in Beweisnot kommen. Wird eine Stelle als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ausgeschrieben und fehlt es im Rahmen einer Probebeschäftigung an eindeutigen Absprachen, ist davon auszugehen, dass zumindest ein faktisches Arbeitsverhältnis bestanden hat (LAG Nürnberg, 21.11.2011 - 4 Ta 180/11).
Praxistipp:
Bei der Durchführung des Schnupperpraktikums sollten auch die Mitarbeiter, die den Interessenten betreuen, den Vertrag kennen und zur Einhaltung verpflichtet werden. Wird der Bewerber entgegen dem Wortlaut zur Arbeitsleistung (z.B. durch konkrete Arbeitsaufträge oder Weisungen) eingesetzt, spricht dies für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung kann das weitreichende Konsequenzen haben.
6. Konsequenzen des Einfühlungsverhältnisses
Es entstehen keine arbeitsrechtlichen Verpflichtungen. Eine Kündigung ist zur Beendigung nicht erforderlich. Ebenso gelten nicht die arbeitsrechtlichen Schutzgesetze, wie z. B. das Mutterschutzgesetz oder das Entgeltfortzahlungsgesetz.
Ein im Rahmen eines Einfühlungsverhältnisses geleisteter "Probearbeitstag" führt nicht zu einem Verstoß gegen das in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG festgelegte Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber. Das Einfühlungsverhältnis ist kein Arbeitsverhältnis so dass die Regelung in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG nicht anwendbar ist (LAG Rheinland-Pfalz, 11.08.2020 - 6 Sa 500/19).
Der Beschäftigten-Datenschutz ergibt sich aufgrund der Öffnungsklausel in Art. 88 DSGVO aus § 26 BDSG. Liegt dem Einfühlungsverhältnis eine Bewerbung zugrunde, kann der Beschäftigten-Datenschutz greifen, wenn es zur Entscheidung über die Einstellung vereinbart wurde. Steht das Rechtsverhältnis nicht im Zusammenhang mit einer Bewerbung, kann dagegen § 26 BDSG nicht angewandt werden, da die betroffene Person nicht vom sachlichen Geltungsbereich (§ 26 Abs. 8 BDSG) erfasst wird. Insbesondere liegt weder ein Arbeitsverhältnis noch eine Beschäftigung zur Berufsbildung vor (vgl. § 1 Abs. 1 BBiG). Dennoch unterliegt das Rechtsverhältnis dem Datenschutz, da auch ihm immer ein Vertrag zugrunde liegt. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 Buchst. b DSGVO ist die Verarbeitung von Daten rechtmäßig, wenn sie zur Erfüllung eines Vertrages erfolgt. Außerdem kann die betreffende Person durch Erklärung in die Verarbeitung der Daten einwilligen (siehe Art. 7 DSGVO). Bei der Verarbeitung gelten daher die Grundsätze der DSGVO wie z.B.
die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung;
die Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben;
die Gewährleistung der Datensicherheit und der Schutz vor unbefugtem Zugriff;
die Datenerhebung für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke;
die Beachtung des Grundsatzes der Datensparsamkeit;
die Löschung nicht mehr benötigter Daten;
die Information des Betroffenen über die erhobenen personenbezogenen Daten, das Auskunftsrecht der betroffenen Person.
7. Versicherungen
Es besteht keine Versicherungspflicht zur Sozialversicherung. Dementsprechend sind auch keine Meldungen (auch keine "Sofortmeldung") zu erstatten. Auch in die gesetzliche Unfallversicherung ist der Bewerber in der Regel nicht einbezogen.
Etwas anderes gilt, wenn im Rahmen des Einfühlungsverhältnisses bereits in Bezug auf Zeitpunkt, Ort und Dauer weisungsgebundene Tätigkeiten ausgeübt werden. Diese sind dann nicht mehr dem unversicherten, eigenwirtschaftlichen Bereich im Zusammenhang mit der Arbeitssuche und der Verhandlung eines Arbeitsvertrages zuzuordnen. Denn bei solchen Sachverhalten geht es üblicherweise nicht mehr allein darum, die persönliche und fachliche Eignung festzustellen (BSG, 14.11.2013 B 2 U 15/12 R).
Für den Bewerber besteht ebenfalls Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn er Leistungsempfänger der Bundesagentur für Arbeit ist und die Schnupperphase auf Veranlassung der Arbeitsverwaltung durchgeführt wird (LSG Nordrhein-Westfalen, 16.02.2000 - L 17 U 290/99). Ein Arbeitssuchender, der während eines unentgeltlichen Probearbeitstages im Rahmen eines Einführungsverhältnisses in Bezug auf die konkrete Handlung weisungsgebunden arbeitet, steht nicht als Beschäftigter i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, weil er noch nicht in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert ist. Es besteht aber Unfallversicherungsschutz als "Wie-Beschäftigter" i.S.d. § 2 Abs. 2 S 1 SGB VII, da er eine dem Arbeitgeber dienende, dessen Wille entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht hat (BSG, 20.08.2019 – B 2 U 1/18 R). Nach der Urteilsbegründung sollte der Probearbeitstag auch dem Arbeitgeber die Auswahl eines geeigneten Bewerbers ermöglichen und hatte damit für ihn einen objektiv wirtschaftlichen Wert. Ebenso – in Bezug auf einen Wegeunfall (LSG Hamburg, 03.09.2018 – L 2 U 11/18).
Für ggf. schuldhaft verursachte Schäden im Betrieb muss der Kandidat bzw. dessen private Haftpflichtversicherung aufkommen.
Siehe auch