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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Pflegezeit - Kurzzeitige Freistellung: Umfang und Auswirkungen
Pflegezeit - Kurzzeitige Freistellung: Umfang und Auswirkungen
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Nach § 2 Abs. 1 PflegeZG haben Beschäftigte das Recht, für kurze Zeit der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um die Pflege für einen nahen Angehörigen zu organisieren oder diese selbst zu übernehmen. Der Beitrag informiert Sie über den Umfang des Anspruchs und die Auswirkungen der Freistellung im Arbeitsverhältnis. Einzelheiten zu den Voraussetzungen sowie der Anzeige- und Nachweispflichten können Sie dem Beitrag Pflegezeit - Kurzzeitige Freistellung: Voraussetzungen entnehmen.
2. Umfang der Freistellung
2.1 Dauer
Die Dauer der Freistellung ist auf zehn Arbeitstage begrenzt (§ 2 Abs. 1 PflegeZG).
Durch § 9 Abs. 1 PflegeZG i.d.F. durch das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19.02.2020 (BGBl. I. Nr. 23 S. 1032) besteht der Anspruch auf Freistellung nach § 2 PflegeZG vom 23.05.2021 bis einschließlich 30.06.2022 für bis zu 20 Arbeitstage (Art. 2 des am 18.02.2022 vom Bundestag beschlossenen und am 11.03.2022 vom Bundesrat gebilligten Gesetzes zur Verlängerung von Sonderregelungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie beim Kurzarbeitergeld und anderer Leistungen, BT-Drs. 20/688), wenn die akute Pflegesituation aufgrund der Corona-Pandemie auftritt. Der Zusammenhang wird gesetzlich vermutet.
Hintergrund dieser Regelung ist auch, dass stationäre Pflegeeinrichtungen infolge der Pandemie geschlossen werden mussten und dadurch die Versorgung der Bewohner auf andere Weise sichergestellt werden musste. Beschäftigte mussten daher vielfach die Pflege ihrer zu Hause lebenden Angehörigen sicherstellen und neu organisieren. Auch ambulante Pflegedienste waren nicht mehr in dem gewohnten Umfang verfügbar (BT-Drs. 19/19216 S. 109). Zwischenzeitlich hat sich die Situation entspannt.
Auch für die verlängerte Dauer der Freistellung können die Beschäftigten Pflegeunterstützungsgeld von der Pflegekasse erhalten (§ 9 Abs. 2 PflegeZG i.V.m. § 150 Abs. 5d S. 1 und 2 SGB XI). Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob eine kurzzeitige Arbeitsverhinderung i.S.v. § 2 PflegeZG vorliegt. Der Anspruch nach § 150 Abs. 5d SGB XI ist aktuell ebenfalls bis zum 30.06.2022 befristet. Einzelheiten siehe unter 3.3.
Als Arbeitstage i.S.v. § 2 Abs. 1 PflegeZG sind alle Kalendertage anzusehen, an denen der Beschäftigte eine Arbeitsleistung zu erbringen hat. Dies könnte dazu führen, dass sich die Freistellung bei Teilzeitbeschäftigten über mehrere Wochen erstrecken kann, wenn die Voraussetzungen für den gesamten Zeitraum vorliegen. Diese Auffassung ist allerdings unter den Arbeitsrechtlern umstritten (bejahend: Küttner/Reinecke, Personalhandbuch, 19. Aufl. 2012, Pflegezeit Rn. 12; Oberthür/Becker, ArbRB 2009, S. 77 ff.; a.M: ErfK, 18. Aufl. 2018, Gallner § 2 PflegeZG, Rn. 1; Lembke in Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrechts-Kommentar, 9. Aufl. 2020 § 2 PflegeZG Rn. 9; Grimm in Tschöpe, Arbeitsrechts-Handbuch, 12. Lfg. 03.2021 Teil 2, D III Rn. 57; Küttner/Poeche, Personalhandbuch, 26. Aufl. 2019 Pflegezeit, Rn. 12 sowie zum Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld Gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes und der Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene vom 19.12.2014, Abschn. 2.1). Die überwiegende Meinung ist wohl, dass Teilzeitbeschäftigte in analoger Anwendung der Berechnung der Urlaubsdauer nur einen anteiligen Anspruch haben. Stellt man darauf ab, dass eine Freistellung grundsätzlich für zwei Wochen gewollt ist, muss man bei Sechs-Tage-Woche konsequenterweise den Zeitraum auf zwölf Arbeitstage ausdehnen (ebenso: Grimm in Tschöpe, Arbeitsrechts-Handbuch, 12. Lfg. 03.2021 Teil 2, D III Rn. 57; "Ergebnis naheliegend" lt. Küttner/Poeche, Personalhandbuch, 26. Aufl. 2019, Pflegezeit Rn. 12). Gegen die mehrheitlich vertretene Meinung spricht, dass der Gesetzgeber ausdrücklich die Dauer der Freistellung in Arbeitstagen und nicht etwa in anderer Weise (z.B. in [Arbeits]wochen) definiert hat.
Die zehn (bzw. 20) Arbeitstage sind als Höchstdauer zu verstehen. Die Freistellung kann auch für eine geringere Zeit erfolgen, insbesondere wenn die Voraussetzungen vor Erreichen der Höchstdauer entfallen. Die Freistellung kann auf Wunsch des Beschäftigten auch teilweise (z.B. vor- oder nachmittags) oder mit Unterbrechungen erfolgen.
2.2 Einmaliger Anspruch
Da der Anspruch auf Akutfälle begrenzt ist, besteht er nach der Gesetzesbegründung pro Pflegefall in der Regel nur einmal. Falls jedoch ausnahmsweise später erneut eine Akutsituation eintritt, z.B. bei einer gravierenden Veränderung der Pflegesituation infolge einer hinzutretenden Krankheit, dürfte der Beschäftigte erneut einen Anspruch auf Freistellung haben (siehe auch Grimm in Tschöpe, Arbeitsrechts-Handbuch, 12. Lfg. 03.2021 Teil 2, D III Rn. 57).
Praxistipp:
Für denselben Pflegebedürftigen können mehrere, bei verschiedenen Arbeitgebern tätige Beschäftigte die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 PflegeZG erfüllen. Da der Anspruch in der jeweiligen Akutsituation aber nur einmal besteht, kann eine schriftliche Bestätigung des Mitarbeiters, dass kein anderer Angehöriger die Freistellung beantragt bzw. in Anspruch genommen hat, sinnvoll sein.
3. Auswirkungen der Freistellung
3.1 Allgemeines
Durch die Freistellung wird die Existenz des Arbeitsverhältnisses nicht berührt; es werden lediglich die Hauptpflichten suspendiert. Einerseits ruht die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung, andererseits muss der Arbeitgeber keine Vergütung zahlen (vgl. hierzu aber 3.2.). Alle übrigen gegenseitigen Rechte und Pflichten, insbesondere die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten (Fürsorgepflicht, Treuepflicht) bleiben uneingeschränkt erhalten.
3.2 Vergütung
Der Arbeitgeber ist zur Fortzahlung der Vergütung nur verpflichtet, soweit sich ein Anspruch aus anderen gesetzlichen Vorschriften oder auf Grund einer Vereinbarung ergibt. Der Beschäftigte kann insbesondere nach § 616 BGB einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung haben, wenn ihm die Arbeitsleistung aus einem in seiner Person liegenden Grund (hier: Pflege des Angehörigen) unmöglich wird. Für den Anspruch fordert das Gesetz außerdem, dass der Grund für den Ausfall von dem Mitarbeiter nicht zu vertreten ist und er eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit umfasst. Grundsätzlich dürfte in diesen Fällen ein vom Beschäftigten nicht zu vertretender Grund für den Arbeitsausfall vorliegen. Ob die Dauer von zehn Arbeitstagen i.S.d. § 616 BGB als "verhältnismäßig nicht erheblich" anzusehen ist, wird nicht einheitlich eingeschätzt. Daher hängt es von den Umständen des Einzelfalles ab, ob ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung besteht.
Praxistipps für die Anwendung des § 616 BGB:
Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Einzelarbeitsverträge gehen grundsätzlich § 616 BGB vor, auch wenn sie für den Mitarbeiter ungünstigere Regelungen enthalten (vgl. BAG, 07.02.2007 - 5 AZR 270/06; BAG, 20.06.1979 - 5 AZR 479/77).
Ob die Zeit i.S.d. Vorschrift "nicht erheblich" ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere von der Dauer der Verhinderung in Relation zur Gesamtdauer der Beschäftigung ab.
Wird die "nicht erhebliche" Zeit überschritten, besteht kein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung. Dies gilt auch für die Zeit, die als nicht erheblich angesehen werden kann.
Zu weiteren Einzelheiten vgl. Arbeitsverweigerung.
Für zu ihrer Berufsbildung Beschäftigte kann sich ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung aus § 19 Abs. 1 Nr. 2b BBiG ergeben. Im Gegensatz zu § 616 BGB kann dieser Anspruch nicht, z.B. durch Tarifverträge, ausgeschlossen werden (§ 25 BBiG).
3.3 Pflegeunterstützungsgeld
Für den Fall der kurzzeitigen Verhinderung i.S.v. § 2 PflegeZG regelt § 44a Abs. 3 SGB XI den Anspruch auf die Sozialleistung "Pflegeunterstützungsgeld". Es wird von der Pflegekasse des nahen Angehörigen auf Antrag gezahlt und deckt das ausgefallene Nettoarbeitsentgelt zu 90 Prozent ab. Soweit der Mitarbeiter in den letzten zwölf Monaten eine Einmalzahlung, wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld, erhalten hat, wird die ausgefallene Nettovergütung vollständig ersetzt. Obergrenze sind aber in beiden Fällen 70 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung. 2022 sind dies kalendertäglich 112,88 EUR.
Der Anspruch auf die Leistung ist nicht von der Versicherung des Arbeitnehmers, sondern davon losgelöst von der Pflegeversicherung des Pflegebedürftigen zu erbringen. Anspruch haben daher auch Mitarbeiter, die geringfügig beschäftigt und versicherungsfrei sind.
Durch § 152 SGB XI wurde das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, nach einer erneuten Risikobeurteilung bei Fortbestehen oder erneutem Risiko für ein Infektionsgeschehen im Zusammenhang mit dem Coronavirus den Befristungszeitraum der §§ 147 bis 151 SGB XI jeweils durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates um jeweils bis zu einem halben Jahr verlängern. Unabhängig davon wurde die Regelung durch Art. 8 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22.11.2021 (BGBl. I Nr. 79 S. 4906) bis zum 31.03.2022 verlängert.
Der Anspruch nach § 150 Abs. 5d SGB XI besteht für insgesamt 20 Arbeitstage. Voraussetzung ist, dass
der Beschäftigte glaubhaft darlegt, dass er die Pflege oder deren Organisation aufgrund der Corona-Pandemie übernimmt;
die häusliche Pflege nicht anders sichergestellt werden kann;
die Beschäftigten keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber bzw. Anspruch auf Kranken- oder Verletztengeld haben.
Der Anspruch muss in geeigneter Form glaubhaft gemacht werden. Dies kann z.B. durch ein ärztliches Attest, die Bestätigung einer (Corona-bedingt ausgefallenen Pflegeperson) oder eine Bescheinigung einer geschlossenen stationären Pflegeeinrichtung geschehen (BT-Drs. 19/18967 S. 74). § 150b SGB XI, eingefügt durch Art. 8 des Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22.11.2021 (BGBl. I Nr. 79 S. 4906), stellt klar, dass die Arbeitstage, für die Pflegeunterstützungsgeld nach dieser Sonderregelung in Anspruch genommen wurde, nicht auf die reguläre Anspruchsdauer nach § 44a Abs. 3 oder Abs. 6 SGB XI angerechnet werden.
Die Leistung muss bei der Pflegekasse des nahen Angehörigen beantragt werden. Dieser Antrag muss – so legt es das Gesetz fest – unverzüglich erfolgen und es muss ein ärztliches Attest vorgelegt werden. Mit diesem Attest bestätigt der Arzt neben der Pflegebedürftigkeit auch, dass die Arbeitsunterbrechung erforderlich ist, um in einer akut aufgetretenen Pflegesituation eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung sicherzustellen. Maßgebend ist die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und die Einstufung in einen Pflegegrad nach §§ 14, 15 SGB XI. Da im Rahmen der Pflegestärkungsgesetze die Pflegebedürftigkeit von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade umgestellt wurde, aber keine Folgeänderungen in das PflegeZG und § 44a Abs. 3 SGB XI aufgenommen wurden, ist es für den Anspruch auf die kurzzeitige Freistellung und Pflegeunterstützungsgeld ausreichend, wenn mindestens Pflegegrad 1 festgestellt wurde bzw. voraussichtlich erreicht wird.
Voraussetzung für den Anspruch ist, dass der pflegende Angehöriger Beschäftigter i.S.v. § 7 Abs. 1 PflegeZG ist. Dies sind Arbeitnehmer, zur Berufsbildung Beschäftigte sowie arbeitnehmerähnliche Personen. Eine selbstständig tätige Rechtsanwältin gehört daher nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis (LSG Baden-Württemberg, 27.03.2020 – L 4 P 2797/19 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 16.11.2020 – B 3 P 5/20 B). Nach dem LSG-Urteil ist die Regelung des § 44a Abs. 3 S. 1 SGB XI nicht planwidrig unvollständig und verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht.
Ein Datenaustausch zwischen Arbeitgeber und der zuständigen Pflegekasse ist nicht vorgesehen. Der Arbeitnehmer benötigt für die notwendigen Angaben eine Bescheinigung des Betriebes. Hierfür stellt die Pflegekasse einen Vordruck zur Verfügung.
Das Pflegeunterstützungsgeld unterliegt der Beitragspflicht in Kranken- Renten- und Arbeitslosenversicherung. An der Leistung werden daher noch Beiträge entsprechend dem halben Beitragssatz der jeweiligen Versicherung abgezogen. Die restlichen Beiträge übernimmt die Pflegeversicherung.
Der freigestellte Mitarbeiter erhält von der Pflegekasse eine Bescheinigung über die Höhe und den Zeitraum des Bezuges des Pflegeunterstützungsgeldes, die er unverzüglich im Betrieb vorlegen muss.
Landwirtschaftliche Unternehmer, die in der Landwirtschaftlichen Krankenkasse pflichtversichert sind, erhalten statt des Pflegeunterstützungsgeldes zur Weiterführung des Unternehmens für bis zu zehn bzw. – befristet bis 31.03.2022 - 20 Tagen eine Betriebshilfe (§ 44a Abs. 6 SGB IX; § 150 Abs. 5d SGB XI).
Siehe auch
Pflegezeit - AllgemeinesPflegezeit - Arbeitgeber mit mehr als 15 BeschäftigtenPflegezeit - Beschäftigung von ErsatzkräftenPflegezeit - KündigungsschutzPflegezeit - Kurzzeitige Freistellung: VoraussetzungenPflegezeit - Meldungen und Beiträge zur SozialversicherungPflegezeit - Sozialversicherung während FreistellungPflegezeit - Teilweise FreistellungPflegezeit - Vorzeitige Beendigung