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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Arbeitsunfall - Haftungsausschluss
Arbeitsunfall - Haftungsausschluss
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Erleidet ein Arbeitnehmer einen Arbeitsunfall, ist für die Kostenregulierung die Berufsgenossenschaft, der der jeweilige Betrieb angehört, zuständig. Die Mitarbeiter des Unternehmens sind dort pflichtversichert; die Beiträge trägt allein der Betrieb. Infolge dieser Versicherung ist in der Regel die Haftung des Arbeitgebers und der Kollegen für eintretende Personenschäden ausgenommen. Der Beitrag informiert Sie über alles, was in diesem Zusammenhang wichtig ist.
2. Beschränkung der Haftung des Unternehmers
Unternehmer sind den Mitarbeitern des Betriebes sowie deren Angehörigen zum Ersatz des Personenschadens, den ein Arbeitsunfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Unfall vorsätzlich herbeigeführt haben oder es sich um einen durch sie herbeigeführten Wegeunfall handelt (§ 104 Abs. 1 SGB VII). Die Regelung stellt den Unternehmer weitgehend von zivilrechtlichen Ansprüchen aufgrund von Schadensereignissen frei und hilft daher, den Betriebsfrieden zu wahren. Die gesetzliche Unfallversicherung hat für die Unternehmer damit auch die Funktion einer Haftpflichtversicherung. Der Geschädigte hat infolge der Freistellung des Schädigers insbesondere keinen Anspruch auf Schmerzensgeld. Andererseits tritt die Unfallversicherung aber auch mit Leistungen ein, wenn kein Verschulden des Unternehmers oder gar ausschließlich Eigenverschulden vorliegt.
Die Rechtsfolge des § 104 Abs. 1 SGB VII setzt voraus, dass es sich um einen Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung handelt (also ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt). Ist dies nicht der Fall, gilt der Haftungsausschluss nicht. Die auf Vorsatz beschränkte Haftung beginnt in der Regel mit dem Erreichen des Betriebsgeländes. Daher ist ein Unfall, der sich auf dem Weg vom Parkplatz bis zum Arbeitsplatz ereignet, als Arbeitsunfall und nicht als Wegeunfall anzusehen (BAG, 28.11.2019 – 8 AZR 35/19).
Der Unternehmer darf nicht vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz liegt vor, wenn ein rechtswidriges Ereignis bewusst und gewollt herbeigeführt wird. Nicht erforderlich ist, dass der rechtswidrige Erfolg gewünscht oder beabsichtigt worden ist (LAG Rheinland-Pfalz, 02.08.2018 – 5 Sa 298/17). Eingeschlossen ist auch der bedingte Vorsatz. Dabei wird das rechtswidrige Ereignis zwar nicht gewollt, aber doch billigend in Kauf genommen. (vgl. hierzu auch LAG Rheinland-Pfalz, 15.05.2014 – 5 Sa 72/14 – Verfahren beim BAG endete mit Vergleich – 23.06.2016 – 8 AZR 769/14). Es ist ein doppelter Vorsatz erforderlich. Der Vorsatz des Arbeitgebers muss sich sowohl auf die Verletzungshandlung als auch auf den Verletzungserfolg beziehen (BAG, 28.11.2019 – 8 AZR 35/19). Beides muss der geschädigte Arbeitnehmer ggf. beweisen (LAG Rheinland-Pfalz, 21.07.2020 – 8 Sa 69/19).
Fraglich ist, ob bedingter Vorsatz auch vorliegt, wenn der Arbeitgeber gewollt gegen Schutzvorschriften zugunsten des Arbeitnehmers, insbesondere die Unfallverhütungsvorschriften verstößt. Nach der überwiegenden Meinung indiziert allein der Verstoß gegen solche Schutzpflichten keinen Vorsatz (siehe BAG, 28.04.2011 – 8 AZR 769/09 sowie LAG Rheinland-Pfalz, 02.08.2018 – 5 Sa 298/17). Etwas anderes gilt nur, wenn der Arbeitsunfall selbst auch gewollt oder gebilligt.wurde (LAG Hessen, 05.07.2018 – 9 Sa 459/17). Es verbietet sich danach, die vorsätzliche Pflichtverletzung mit einer ungewollten Folge mit einem gewollten Arbeitsunfall oder einer gewollten Berufskrankheit gleichzusetzen (BAG 20.06.2013 - 8 AZR 471/12). Vorsatz oder bedingter Vorsatz i.S.d. § 104 Abs. 1 SGB VII erstrecken sich nicht nur auf die Handlung und deren Erfolg, sondern auch auf den eingetretenen Schadensumfang (siehe auch LAG Mecklenburg-Vorpommern, 21.12.2006 – 1 Sa 113/06 u. und LAG Hessen, 05.07.2018 – 9 Sa 459/17). Nach Auffassung des LAG Nürnberg muss im Einzelfall jedoch geprüft werden, ob derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, auch eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers billigend in Kauf nimmt Ist das der Fall, liegt nach Auffassung des Gerichts bedingter Vorsatz auch vor, wenn der Arbeitgeber gegen Unfallverhütungsvorschriften verstößt; dann tritt das Haftungsprivileg nicht ein (LAG Nürnberg, 09.06.2017 – 7 Sa 231/16). Nach dem Urteil kann ein Schmerzensgeldanspruch bestehen, wenn eine sich in Ausbildung befindliche Arzthelferin bei einer Blutentnahme bei einem an Hepatitis C erkrankten Patienten infiziert, weil der Arzt ausdrücklich auf die Verwendung von Sicherheitskanülen verzichtet.
Nach § 11 Abs. 6 Satz 1 AÜG unterliegt die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers bei dem Entleiher den für dessen Betrieb geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Die sich daraus ergebenden arbeitsschutzrechtlichen Pflichten sind damit in erster Linie dem Entleiher zugewiesen (LAG Hessen, 05.07.2018 – 9 Sa 459/17). Für die Aufhebung des Haftungsprivilegs müsste daher der Entleiher vorsätzlich gehandelt haben.
Das Haftungsprivileg gilt auch nicht, wenn es sich um einen Wegeunfall handelt. Darunter fallen:
Der unmittelbare Weg von der Wohnung nach und von dem Ort der Tätigkeit (versichert ist auch ein Umweg, um Kinder in den Kindergarten etc. zu bringen oder abzuholen oder Umwege im Rahmen einer Fahrgemeinschaft);
der Weg im Rahmen von Familienheimfahrten.
Der Haftungsausschluss bezieht sich auf alle zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Rechtsgrundlagen für Schadenersatzansprüche außerhalb des SGB. Ausgeschlossen sind insbesondere:
die verschuldensabhängigen Ansprüche aus dem Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB);
die verschuldensabhängigen Ansprüche aus dem (Arbeits-)Vertragsrecht (§§ 280 ff., 311 BGB);
die verschuldensunabhängigen Ansprüche aus Gefährdungshaftung (wie z.B. aufgrund des StVG);
die Ansprüche aus Amtspflichtverletzungen.
Unternehmer i.S.d. § 104 Abs. 1 SGB VII ist derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht (vgl. § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII). Auch ein Bauherr, dem Nachbarn oder Freunde „wie Arbeitnehmer“ helfen, ist im Umfang des § 104 Abs. 1 SGB VII von der Haftung freigestellt. Bei Personengesellschaften sind Unternehmer die persönlich haftenden Gesellschafter. Kapitalgesellschaften sind selbst Unternehmer. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind ebenfalls selbst Unternehmer. Die Freistellung von der zivilrechtlichen Haftung gilt nur, wenn der Schädiger als Unternehmer gehandelt hat. Hat er dagegen bei privaten Verrichtungen zufällig einen Arbeitnehmer seines Betriebes geschädigt, gelten die normalen Haftungsregeln.
Zu den Personenschäden, für die Ansprüche aufgrund des § 104 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen sind, gehören alle Schäden, die ihre Grundlage in einem Gesundheitsschaden haben, wie Kosten für die Heilbehandlung, Verdienstausfall, Pflegekosten, Schmerzensgeld.
Nicht ausgeschlossen ist die Haftung des Unternehmers für Sachschäden (z.B. für unbrauchbar gewordene Kleidungsstücke).
3. Beschränkung der Haftung anderer im Betrieb tätiger Personen
3.1 Allgemeines
Das Haftungsprivileg gilt auch für andere Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit von Versicherten desselben Betriebes verursachen. Auch sie haften dem Geschädigten oder dessen Angehörigen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben oder es sich um einen Wegeunfall handelt (§ 105 Abs. 1 SGB VII).
Die Regelung entspricht weitgehend dem Haftungsprivileg des Unternehmers und dient vorwiegend der Erhaltung des Betriebsfriedens. Sie gilt in der Rolle des Schädigers für alle Arbeitnehmer des Betriebes, aber darüber hinaus auch für Personen, die wie ein Beschäftigter tätig werden. Umgekehrt ist der gleiche Personenkreis als Geschädigter in seinen Ansprüchen eingeschränkt. Schädiger und Geschädigter müssen dem gleichen Betrieb angehören.
3.2 Versicherungsfall der Unfallversicherung
Grundsätzlich muss ein Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung vorliegen, d.h. es muss sich um einen versicherten Beschäftigen handeln und ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten sein. Das Haftungsprivileg gilt aber auch, wenn der Geschädigte Beamter ist und daher keine Ansprüche gegen die gesetzliche Unfallversicherung, sondern auf Unfallfürsorge hat (vgl. hierzu § 105 Abs. 1 S. 2 SGB VII).
3.3 Betriebliche Tätigkeit
Die eingeschränkte Haftung tritt nach § 105 Abs. 1 SGB VII nur ein, wenn der Versicherungsfall durch die betriebliche Tätigkeit eingetreten ist. Dies ist der Fall, wenn ein direkter Zusammenhang mit der zu verrichtenden Arbeit besteht: Das Schadensereignis muss durch eine Tätigkeit des Schädigers, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb, in dem sich der Unfall ereignet hat, übertragen war oder die zumindest von ihm im Betriebsinteresse erbracht wurde (BAG, 18.04.2002 – 8 AZR 348/01). Dazu gehören auch z.B. Gemeinschaftsveranstaltungen, Geschäftsreisen, Außendienst, Betriebssport etc. Ist die Schädigung dagegen zwar bei Gelegenheit der betrieblichen Tätigkeit eingetreten, aber nicht im ursächlichen Zusammenhang mit ihr, sind die Ansprüche wegen Personenschadens nicht durch § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Der innere Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit ist erst zu verneinen, wenn nicht mehr die Verfolgung der betrieblichen Zwecke, sondern Eigeninteressen des Mitarbeiters als Schadensursache anzusehen sind (BAG, 21.10.1983 – 7 AZR 488/80, NZA 1984, S. 83). Dies trifft häufig zu bei Neckereien unter Kollegen (LAG Schleswig-Holstein, 26.04.2016 – 1 Sa 247/15: Schädiger rollt mit einem Gabelstapler auf einen Kollegen zu, um ihm "in die Brust zu zwicken").
Auch unter Auszubildenden ist § 105 Abs. 1 SGB VII für die Haftung bei Personenschäden anzuwenden (BAG, 19.03.2015 – 8 AZR 67/14): Verletzungen eines Mit-Auszubildenden durch den Wurf eines Wuchtgewichts).
3.4 Schädigung des nicht versicherten Unternehmers
Das Haftungsprivileg gilt auch, wenn nicht versicherte Unternehmer durch einen Arbeitnehmer im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit geschädigt werden (§ 105 Abs. 2 SGB VII). Als Ausgleich dafür erhält auch der nicht versicherte Unternehmer die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn das Haftungsprivileg ihm die Inanspruchnahme des Schädigers verwehrt. Die Leistungen sind allerdings auf den zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch begrenzt.
Siehe auch