#Alter am 24.01.2022

Mannheim gegen Einsamkeit – wie ein Projekt ältere Menschen aus der sozialen Isolation holt

Einsamkeit im Alter: Ein älterer Herr sitzt alleine im Schlafzimmer auf seinem Bett und schaut aus dem Fenster.
Stocksy / Nasos Zovoilis

Dr. Werner Besier, Initiator des Projektes „MAG1 – Mannheim gegen Einsamkeit“, erklärt die Folgen von Alterseinsamkeit und verrät, wie er und sein Team Senioren vor der Vereinsamung bewahren.

Einsamkeit im Alter ist ein verbreitetes Problem und kann krank machen: Chronische Beschwerden verschlechtern sich, Demenz wird beschleunigt und die Mobilität ist eingeschränkt. Betroffene ältere Menschen ziehen sich daraufhin oft noch weiter zurück.

Um diesen Kreis zu durchbrechen, haben Dr. Werner Besier und seine Mitstreiter das MAG1-Projekt ins Leben gerufen. Dabei begleiten ehrenamtliche Paten ältere und einsame Menschen aus ihrem isolierten Alltag zurück ins soziale Leben. Wir baten Dr. Besier zu einem Gespräch über die Arbeit des Projektes und das Thema Alterseinsamkeit.

Wie verbreitet sind Einsamkeit im Alter und soziale Isolation?

Sehr stark. Insbesondere im Alter stellen Einsamkeit und Isolation ein großes Problem in unserer Gesellschaft dar. Laut einer aktuellen Studie sind es bei den 66- bis 80-Jährigen 20 Prozent, die die Kriterien der Einsamkeit erfüllen. Bei den über 80-Jährigen sogar 35 Prozent. Als einsam zählt hierbei jemand, der maximal einen sozialen Kontakt in vier Wochen hat – was wirklich wenig ist.

Was macht das mit älteren Menschen?

Viele Erkrankungen werden durch die Einsamkeit massiv verstärkt. Es gibt den alten Spruch: „Eine gesunde Seele wohnt in einem gesunden Körper.“ Ist die Seele also krank, ist auch der Körper krank. Das trifft auf einsame alte Menschen sehr stark zu. Sie sterben früher, erleiden häufiger Demenz und Depressionen, haben chronische Krankheiten und auch die Einweisung in die stationäre Pflege erfolgt bei einsamen Menschen deutlich früher als bei jenen, die nicht einsam sind.

Am Beispiel Demenz haben wir das auch in unserem Projekt festgestellt. Teilnehmer, die bereits eine leichte Demenz hatten, konnten wir auffangen, sodass sie nicht weiter dement geworden sind. Personen, die unser Programm aus gesundheitlichen Gründen wiederum verlassen mussten, haben geistig massiv abgebaut.

Darüber hinaus verringert Einsamkeit stark die Mobilität. Man geht viel weniger raus und sitzt stattdessen zu Hause. Das kann nicht nur zu massivem Übergewicht führen, sondern auch Arthrose oder Osteoporose begünstigen. Dadurch verschlechtert sich die Beweglichkeit. Letztere verbessert sich sofort wieder, sobald man die Menschen aus der Einsamkeit herausholt. Deshalb ist es ungemein wichtig, dass Senioren in Bewegung bleiben.

Weiterhin ist bekannt, dass verschiedene Herzkrankheiten, Schlaganfälle und auch Krebs bei einsamen Menschen deutlich häufiger vorhanden sind. Zusammengefasst gibt es eine Vielzahl an negativen Auswirkungen von Einsamkeit.

Empfinden ältere Menschen Einsamkeit anders als jüngere?

Ja, das Empfinden der Einsamkeit und Isolation ist um ein Vielfaches größer. Im letzten Lebensabschnitt bricht für viele das gesamte soziale Netzwerk weg. Wenn beispielsweise der Partner stirbt, stirbt damit häufig auch das Umfeld. Ziehen sich dazu noch die Kinder zurück, ist der Weg in die soziale Isolation oft vorgezeichnet.

Mit Ihrem Konzept MAG1 wollen Sie diese negativen Folgen abfangen. Können Sie das genauer erklären?

Wir haben mittlerweile 71 Paten für das Projekt geschult. Diese Paten kann man vom Prinzip her auch als „Kümmerer“ bezeichnen. Es sind Laien, die über unsere Zentrale Hilfesuchende zugewiesen bekommen und diese dann begleiten. Nach einer ausführlichen Schulung besteht die Hauptaufgabe darin, Hilfe für die älteren Menschen zu organisieren.

Dazu zählen beispielsweise Dinge wie die Unterstützung bei Behördengängen, aber auch das Organisieren von Kaffeetreffen oder Ähnlichem. Das generelle Ziel von uns lautet dabei immer: Hilfe zur Selbsthilfe. Die Hilfesuchenden müssen sich schon selbst einbringen. Sie zu motivieren, sich wieder aktiv am sozialen Leben zu beteiligen, ist eine der Hauptaufgaben der Paten.

Gemeinsam statt einsam! Werde Pate bei MAG1 – Mannheim gegen Einsamkeit

Hast du Lust und Zeit, aktiv beim MAG1-Projekt mitzumachen? Dann werde Pate und unterstütze ältere Menschen auf ihrem Weg aus der Einsamkeit. Für diese verantwortungsvolle Aufgabe wirst du umfassend geschult. Neben regelmäßigen Fallbesprechungen, erfolgt ein kontinuierlicher Austausch mit Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern und professionellen Pflegeeinrichtungen.

Nach erfolgreicher Schulung bekommst du ein Zertifikat. Zudem erhältst du für deine ehrenamtliche Tätigkeit als Pate eine Aufwandsentschädigung. Hier kannst du dich direkt als Pate anmelden.

Welche Fähigkeiten muss ein potenzieller Pate mitbringen?

Im Prinzip kann jeder Pate bei uns werden. Einzige Voraussetzung ist das erweiterte Führungszeugnis. Zunächst führen wir mit dem Interessenten ein Erstgespräch, um uns ein Bild von ihm zu machen. Anschließend folgt eine ausführliche Schulung für die bevorstehenden Aufgaben.

Bislang haben wir noch keine einzige negative Erfahrung mit einem Paten gemacht. Wer sich bei uns meldet, hat meistens schon eine gewisse Grundmotivation. Alle Paten, die bei uns tätig sind, besitzen große Empathie und ein unglaubliches Engagement.

Unsere älteste Patin ist 79 Jahre alt und die jüngste Anfang 20. Neben einer Gruppe von Medizinstudentinnen sind unter anderem eine Richterin im Ruhestand, Sozialarbeiter, Lehrer sowie eine ehemalige Bewährungshelferin als Paten tätig. Aber auch Büroangestellte und Ingenieure arbeiten für uns. Es kann also wirklich jeder Pate werden, der möchte.

Entstehen zwischen den Paten und Hilfesuchenden manchmal auch richtige Freundschaften?

Ich würde sagen, dass zwischen unseren Paten und Hilfesuchenden generell ein freundschaftlicher Umgang stattfindet. Die meisten gehen zwischendurch auch privat einen Kaffee trinken. Oder sie machen unabhängig von unserem Projekt gemeinsame Spaziergänge. Es ist oft also schon mehr als eine geschäftliche Beziehung.

Häufig haben sich jedoch auch schon Freundschaften zwischen den Hilfesuchenden entwickelt, was wir natürlich begrüßen. Viele rufen sich zum Beispiel täglich an und organisieren sich in ihrer Gruppe selbst, sodass sie unsere Betreuung nicht mehr brauchen. Andere wiederum gehen zusammen zu Seniorentreffen, um dort gemeinsam zu essen, was sie sich vorher allein nicht getraut haben.

Diese Beispiele zeigen genau das, was wir erreichen wollen: Die von uns begleiteten älteren Menschen sollen sich mit der Zeit von dem Projekt loslösen und wieder selbstständig ihr Leben bestreiten.

Betreut man als Pate immer nur eine Person zurzeit oder mehrere?

In der Regel sind es mehrere Menschen, die ein Pate betreut. Manche kümmern sich um eine oder zwei Personen, andere um sechs. Das hängt immer davon ab, wie viel Zeit der einzelne Pate hat. Generell wird ein Hilfesuchender maximal drei Jahre lang von uns betreut. Dann sollte er bestenfalls auf eigenen Füßen stehen. Allerdings kontaktieren wir nach Ablauf dieser Zeit trotzdem noch alle vier Wochen die Person, um zu schauen, dass weiterhin alles in Ordnung ist.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des MAG1-Projektes?

Um das Projekt weiter am Leben halten zu können, sind wir auf Spenden angewiesen. Wir bekommen zwar einen geringen Zuschuss von der Stadt Mannheim, doch der reicht bei weitem nicht aus. Unsere finanziellen Rücklagen decken die Kosten noch etwa für ein halbes Jahr ab. Sofern wir keine neuen Gelder als Unterstützung bekommen, müssen wir irgendwann mit MAG1 aufhören.

Es ist leider so, dass sich für ein psycho-soziales Projekt niemand so richtig zuständig fühlt. Mein größter Wunsch wäre daher, dass es für Projekte wie unseres irgendwo einen Topf geben würde, der uns einen gewissen finanziellen Rückhalt garantiert. Das wäre für uns besonders wichtig.

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    veröffentlicht am 24.01.2022
    AOK-Expertin „Psyche und Seele“

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