#Vergewaltigung am 25.05.2022

Wildwasser Esslingen e. V.: Hilfe für Vergewaltigungsopfer

Eine junge Frau sitzt mit gesenktem Kopf in ihrem Schlafzimmer auf dem Bett.
Stocksy / Ameris Photography Inc.

Seit 30 Jahren berät und unterstützt Wildwasser Esslingen e. V. Menschen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. Jetzt hat der Verein ein Pilotprojekt in der Klinik Ostfildern-Ruit initiiert, das Vergewaltigungsopfern ermöglichen soll, Spuren des Sexualdelikts zu sichern, ohne den Täter gleich anzuzeigen.

Es ist eine ungeheure psychische Belastung für die Opfer: Eine Frau, die nach einer Vergewaltigung medizinische Hilfe in einer Klinik sucht, wird in der Regel aufgefordert, Anzeige zu erstatten. Oder die Klinik selbst informiert die Polizei. Eine Anzeige bedeutet für die Frau aber, dass sie noch am selben Tag eine bis zu vierstündige polizeiliche Vernehmung und anschließend eine rechtsmedizinische Untersuchung in der Klinik über sich ergehen lassen muss. Schließlich müssen Verletzungen dokumentiert, Spermaspuren gesichert, zum Nachweis von K.-o.-Tropfen Blut abgenommen werden und vieles mehr.

Alles in allem eine mehrstündige, quälende und kräftezehrende Prozedur, die sich in vielen Fällen über die ganze Nacht hinzieht. „Und das nach einem so traumatisierenden Erlebnis“, sagt Martina Huck. „Wir von Wildwasser empfinden das als unmenschlich.“

Sexualisierte Gewalt darf kein Tabuthema sein

Martina Huck ist seit 2010 Geschäftsführerin von Wildwasser Esslingen e. V., einer Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die sexualisierte Gewalt erleben oder erlebt haben. Der autarke Verein, der mit anderen Wildwasser-Beratungsstellen auf Bundesebene einen losen, solidarischen Zusammenschluss bildet, gründete sich 1991 aus der autonomen Frauenbewegung und arbeitete zunächst auf ehrenamtlicher Basis.

Ziel der Frauen war es damals, das Thema sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Frauen aus der Tabuzone zu holen. Es war ein langer, steiniger Weg, bis 2000 endlich die erste Fachberatungsstelle eröffnet werden konnte und der Landkreis eine erste 50-Prozent-Stelle für eine Psychologin bewilligte. Heute hat Wildwasser seinen Sitz in der Esslinger Merkelstraße und beschäftigt neun Angestellte, von denen fünf als Beraterinnen und Therapeutinnen arbeiten. Nach wie vor finanziert sich der Verein aber größtenteils durch Spenden – trotz wachsendem Beratungsbedarf.

2019 betreute Wildwasser insgesamt 191 Fälle, 2014 waren es 140. Die Steigerung hänge mit der wachsenden gesellschaftlichen Sensibilisierung für das Thema zusammen, so Huck. Es kämen mehr Fälle ans Licht.

Wildwasser Esslingen ist finanziell auf sich allein gestellt

Trotzdem muss Wildwasser Esslingen nach wie vor den gesamten Bereich der Erwachsenen-Beratung aus eigenen Vereinsmitteln tragen. Keine Stadt und kein Landkreis beteilige sich derzeit an deren Finanzierung, so Huck, „weil die Beratung von erwachsenen Betroffenen laut Gesetzgebung eine Freiwilligkeitsleistung der Kommunen und des Landkreises ist. Das kann sich eine Stadt leisten oder eben nicht. Esslingen leistet sich das nicht. Dabei sind wir eine so wohlhabende Stadt. Aber es gibt dafür keine Lobby, und das nach MeToo!“

Wildwasser Esslingen setzt sich schon seit Längerem dafür ein, dass Vergewaltigungsopfern die Situation erleichtert wird. Ziel ist die Einrichtung einer vertraulichen, verfahrensunabhängigen Spurensicherung in einer Klinik. Frauen soll es rund um die Uhr ermöglicht werden, sich nach einer Vergewaltigung ärztlich versorgen und dann Beweise vertraulich und nach gerichtsfestem Standard dokumentieren zu lassen – ohne Polizei.

Wildwasser Esslingen e.V. – Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt

Sowohl für Opfer sexualisierter Gewalt als auch deren Angehörige und Freunde bietet Wildwasser Esslingen mehrere Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme. So kannst du dich für ein persönliches Erstgespräch entscheiden, zu dem du gerne eine Person deines Vertrauens mitbringen darfst. Es gibt auch die Möglichkeit, bei Bedarf die Gespräche über Videocall zu führen.

Wenn du erst einmal lieber schreiben oder telefonieren möchten, ist das auch kein Problem. Darüber hinaus kannst du die vertrauliche Onlineberatung nutzen und dich auf diesem Weg an den Verein wenden. Was und wie viel du erzählen willst, bestimmst du dabei selbst. Im Fokus steht, was den Betroffenen guttun könnte.

E-Mail info(at)wildwasser-esslingen(.)de

Onlineberatung: https://wildwasser-esslingen.assisto.online/

Telefon: 0711/355589
Mo–Do von 9–12 Uhr
Di von 14–16 Uhr
(Anrufbeantworter immer)

Für Opfer von Cybergrooming und sexuellem Missbrauch gibt es zudem weitere Anlaufstellen, die dir anonym und schnell helfen können:

Vertrauliche Spurensicherung ohne Zeitdruck

Denn jede Vergewaltigung ist zunächst einmal ein medizinischer Notfall. Die Betroffenen erhalten nach der Behandlung eine Liste mit Adressen und kostenlosen Hilfs- und Beratungsangeboten. In Ruhe können sie sich dann in den folgenden Wochen und Monaten mit dem Ereignis auseinandersetzen und entscheiden, ob sie gegen den Täter vorgehen wollen. Das gesicherte Beweismaterial wird in die Heidelberger Gewaltambulanz, ein in Baden-Württemberg einzigartiges Kompetenzzentrum für die vertrauliche Spurensicherung, geschickt und wird dort chiffriert ein Jahr lang aufbewahrt. „Wir wünschen uns natürlich“, so Martina Huck, „dass dadurch mehr Frauen Anzeige erstatten und die Verurteilungsrate steigt.“

Helfen aus Überzeugung

Derartige Angebote gibt es bereits in Kliniken der Städte Winnenden, Pforzheim oder Karlsruhe. Im Landkreis Esslingen noch nicht. Auf Initiative von Wildwasser Esslingen hat sich jetzt die Klinik Ostfildern-Ruit bereit erklärt, diese Aufgabe zunächst für ein Jahr zu übernehmen. Aus Überzeugung. Denn es kommt zusätzliche Arbeit auf die Station Gynäkologie zu. Eine Extra-Stelle sei nicht vorgesehen, so Huck. Sie rechnet damit, dass die Klinik Ruit spätestens ab kommendem September für betroffene Frauen offenstehen wird. Unterstützung und Information zum Thema Strafanzeige können die Betroffenen in der Beratungsstelle erhalten. Ebenso wie psychosoziale Unterstützung.

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    veröffentlicht am 25.05.2022
    AOK-Expertin „Psyche und Seele“

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