#Corona am 08.04.2020 aktualisiert am 16.04.2020

Macht Einsamkeit krank? Experte Dr. Bohus im Interview

In der Corona-Krise ist es schwieriger geworden, das soziale Umfeld aufrecht zu halten. Psychotherapeut Prof. Dr. Martin Bohus aus Mannheim verrät, was Du jetzt gegen Einsamkeit tun kannst.

Durch die aktuellen Ausgangsbeschränkungen in der Corona-Krise sind die persönlichen sozialen Kontakte enorm gesunken. Bei vielen kann das Gefühle der Einsamkeit auslösen. Psychotherapeut Prof. Dr. Martin Bohus vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim erklärt, was du gegen Einsamkeit tun kannst und inwieweit Einsamkeit deine Gesundheit belasten kann.

Alleinsein und Einsamkeit: Was ist der Unterschied?

Wer alleine lebt und derzeit aufgrund der Ausgangsbeschränkungen seine Wohnung nicht verlassen kann, muss sich einsam fühlen – mögen viele denken. Insbesondere für alleinlebende Senioren kann die Kontaktsperre schwierig sein. Dass es nicht immer so sein muss, erklärt Prof. Bohus: „Für alte Menschen ist das Kontaktverbot sicherlich eine besondere Belastung. Auch weil sie häufiger alleine leben als Junge. Vielleicht stimmt das aber auch nicht. Nicht jeder Mensch, der wenig Kontakt zu anderen hat, ist einsam. Alleinsein und Einsamkeit – das sind zwei Paar Stiefel.“

Doch was ist genau der Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit? „Es gibt Menschen, die wunderbar allein sein können, ohne sich einsam zu fühlen – auch in der derzeitigen Situation“, sagt der Experte für seelische Gesundheit. Andererseits gebe es auch Menschen, die sich sogar in gut funktionierenden Netzwerken verlassen fühlen. „Von Einsamkeit spricht man erst dann, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg ein unerfülltes Bedürfnis nach Nähe besteht.“

Forsa-Umfrage: Viele Baden-Württemberger kennen Einsamkeit

Gefühle von Einsamkeit sind den meisten Menschen in Baden-Württemberg bekannt. Das zeigt sich in einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag der AOK Baden-Württemberg. Hier die Ergebnisse im Überblick:

  • 80 Prozent der 18- bis 69-Jährigen aus Baden-Württemberg kennen das Gefühl von Einsamkeit – jeder Zweite von ihnen fühlt sich nicht gut oder leidet sogar darunter, wenn er oder sie alleine ist.
  • Frauen (50 Prozent) fühlen sich häufiger einsam als Männer (39 Prozent).
  • Bei Singles kennen überdurchschnittlich viele das Gefühl der Einsamkeit (61 Prozent).
  • Das Einsamkeitsgefühl nimmt mit dem Alter nicht zu: 60 Prozent der 18- bis 29- Jährigen kennen das Gefühl, unter den 60- bis 69-Jährigen ist es lediglich bei 35 Prozent verbreitet.

Zudem ergab sich aus der Umfrage, dass die meisten der Befragten gerne mit anderen Menschen aktiv sind. 69 Prozent würden ein neues Hobby lieber in einer Gruppe ausprobieren als alleine. Daraus lässt sich ableiten: Gemeinsam ist gesünder.

Den umfassenden Bericht der Forsa-Umfrage kannst du hier einsehen.

Warum Einsamkeit krank machen kann

Freunde und ein intaktes soziales Umfeld sind wichtig, damit es uns psychisch gut geht. Wenn soziale Kontakte zum Beispiel aufgrund der Corona-Maßnahmen weniger werden oder gar wegfallen, besteht daher die Gefahr, dass unsere seelische Gesundheit aus dem Gleichgewicht gerät. Schlimmstenfalls kann es dazu führen, dass wir erkranken, wenn der Zustand über einen längeren Zeitraum anhält.

Für viele mag der Zusammenhang klar sein, aber auch die Wissenschaft hat sich mit dem Phänomen „soziale Gesundheit“ und der Bedeutung von Freundschaft beschäftigt. In einer Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Spektrum" wird der Begriff Freundschaft als „[…] eine freiwillige, persönliche Beziehung, die auf gegenseitiger Sympathie, Vertrauen und Unterstützung beruht, nicht aber auf Verwandtschaft oder einem sexuellen Verhältnis“ verstanden.

Doch warum ist diese Art der Beziehung so wichtig für uns?  Weil wir bei Freunden Bestätigung finden, uns über gemeinsame Interessen austauschen und emotionale Nähe sowie Vertrauen erleben können. Dies alles trägt zu einer psychischen Stabilität bei und kann verhindern, dass wir beispielsweise an Depressionen erkranken. Prof. Dr. Bohus erklärt: „Als soziale Wesen sind wir darauf ausgerichtet, uns einer Gruppe zugehörig zu fühlen. Sind wir hingegen sozial isoliert, sendet der Körper psychische Alarmsignale – ähnlich wie bei körperlicher Bedrohung.“

Wenn aus dieser Stressreaktion ein Dauerzustand wird, könne das sehr schmerzhaft sein – sowohl seelisch als auch körperlich. „Denn Einsamkeit erhöht auf Dauer nicht nur das Risiko für Depressionen, sondern auch für seelisch bedingte, körperliche Erkrankungen und kann auf Dauer sogar die Lebenserwartung senken“, führt er weiter aus.

Hilfen bei Depression

Solltest du dich derzeit psychisch nicht gut fühlen oder depressive Symptome bemerken, kann dir das Online-Programm „moodgym“ helfen, dessen Entwicklung von der AOK unterstützt wurde. In dem kostenlosen Online-Training kannst du deine Psyche stärken und lernen, wieder positiver zu denken.

Mehr Informationen zu moodgym findest du hier.

5 Tipps gegen Einsamkeit

Feste Tagesstruktur: „Für die Seelenhygiene ist es jetzt wichtig, gewohnte Abläufe und Rituale des Alltags beizubehalten – also zum Beispiel morgens zur üblichen Zeit aufzustehen, sich an feste Essenszeiten zu halten und sich nicht nachlässiger zu kleiden.“

 

Neue Hobbies ausprobieren und sich beschäftigen: „Viele entdecken Tätigkeiten wieder, für die bislang Muße und Antrieb fehlten – vielleicht für eine geliebte Handarbeit, ein mehrteiliges Hörbuch, neue Kochrezepte.“

Regelmäßige Bewegung ist entscheidend: „Sie sollte möglichst täglich in den Tagesablauf integriert werden. Denn körperliches Wohlbefinden kann seelische Probleme mindern. Es muss nicht unbedingt Sport sein: Schon ein halbstündiger, zügiger Spaziergang wirkt antidepressiv. Am besten mittags, wenn die Sonne intensiv scheint. Denn UV-Licht stößt die Ausschüttung körpereigener Stimmungsaufheller leicht an.“

Wenn wir anderen helfen, helfen wir uns selbst: „Unser eigener Stresslevel sinkt, wenn wir Mitgefühl für andere zeigen und ihnen Gutes tun. Viele stellen jetzt fest, dass es Menschen gibt, die schlechter dran sind als sie selbst. Die zum Beispiel gerade ihren Partner verloren haben oder krank sind. Dann sollte man ruhig zum Telefonhörer greifen, denjenigen anrufen, mit ihm reden und ihn trösten.“

Innere Anspannungen lösen: „Achtsamkeitsmeditation ist kein esoterischer Hokuspokus, sondern ihre Wirkung ist medizinisch nachgewiesen. Achtsamkeitsübungen sind ein perfektes Gegenmittel zum Grübelzwang und lassen sich im Alltag gut umsetzen. Dafür stellt man sich zweimal täglich einen Wecker, zunächst auf fünf Minuten, später auf eine Viertelstunde. Dann aufrecht – nicht völlig entspannt – auf einen Stuhl setzen, vielleicht ans offene Fenster. Nun fünf Minuten lang ausschließlich auf den eigenen Atem oder ausschließlich auf die Geräusche der Umwelt fokussieren. Ob Vogelgezwitscher oder Verkehrsgeräusche – wir genießen das Orchester der Welt, das nur in diesem einen Augenblick für uns spielt. Und wir sollten dankbar sein dafür.“

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    veröffentlicht am 08.04.2020 aktualisiert am 16.04.2020

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