#Familienleben am 21.02.2022

Cybergrooming: Der Missbrauch im Netz und was man dagegen tun kann

Cybergrooming: Ein kleiner blonder Junge schaut auf sein Smartphone.
Stocksy / Cameron Whitman

Immer häufiger erleben Kinder und Jugendliche im Internet sexuelle Übergriffe durch Erwachsene. Wir sprechen mit Diplom-Medienpädagogin Saskia Nakari über das verstärkt aufkommende Alltags-Phänomen Cybergrooming.

Der Begriff „Cybergrooming“ (vom Englischen „Grooming“, übersetzt: Striegeln) beschreibt metaphorisch das gezielte subtile Ansprechen Minderjähriger über das Internet mit dem Ziel, sexuelle Kontakte anzubahnen. Die erwachsenen Täter belästigen ihre Opfer anonym und unter falschen Namen und fordern sie zum Beispiel auf, Nacktaufnahmen zu übersenden oder sich mit ihnen im realen Leben zu treffen. Sie nutzen dabei die Unbedarftheit, Vertrauensseligkeit und das mangelnde Risikobewusstsein von Kindern und Jugendlichen aus.

In unserem Interview klärt Saskia Nakari vom Stadtmedienzentrum Stuttgart am Landesmedienzentrum Baden-Württemberg unter anderem darüber auf, welche Methoden die Täter anwenden, wo genau sie ihre Opfer finden und wie Eltern ihre Kinder vor Missbrauch im Netz schützen können.

Porträt von Saskia Nakari
Saskia Nakari

Frau Nakari, wie verbreitet ist Cybergrooming hierzulande aktuell?

Was man aus den Ergebnissen einer Sonderauswertung des Bundeskriminalamtes weiß, ist, dass die gemeldeten Cybergrooming-Fälle in Deutschland bereits von 2018 bis 2019 um 35 Prozent gestiegen sind. Im Jahr 2019 waren es insgesamt 3.839 offiziell gemeldete Fälle. Besonders im Zuge der Corona-Pandemie liegt die Vermutung jedoch nah, dass die Zahlen angestiegen sind.

Für eine Studie aus dem Jahr 2021, im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW, befragte EU Kids Online 8- bis 18-jährige Kinder und Jugendliche nach ihren Erfahrungen. Fast ein Viertel der Befragten gab an, dass sie online schon einmal von einem Erwachsenen zu einem Treffen eingeladen worden sind. Etwa 30 Prozent berichteten, dass so etwas einem Freund oder einer Freundin passiert ist. 15 Prozent haben Nacktbilder von Erwachsenen bekommen. Bei den 16- bis 18-Jährigen waren es 27 Prozent. Und knapp 15 Prozent wurden aufgefordert, selbst ein Nacktbild von sich zu schicken.

Die Dunkelziffer dürfte wohl noch weitaus höher liegen …

Ja, man geht davon aus, dass die Dunkelziffer sehr hoch ist. Das Thema ist zum einen sehr schambesetzt. Zum anderen geben sich die Opfer – ähnlich wie bei sexuellem Missbrauch im „realen“ Leben – oft selbst die Schuld. Außerdem ist gerade im Bereich der Mediennutzung die Angst der Kinder groß, Eltern von bösen Erfahrungen im Netz zu berichten, da viele befürchten, dass ihnen dann sofort das Smartphone weggenommen wird.

Über welche Wege und Plattformen suchen die Täter nach ihren Opfern?

Sobald Kinder und Jugendliche sich im Internet bewegen, sind sie zwangsläufig auch in der Welt von Erwachsenen. Es gibt keinen Messenger-Dienst und kein soziales Netzwerk, das rein für Kinder ist. Dafür sind die vorhandenen Lücken viel zu groß und die Anzahl von Moderatoren zu gering. Das bedeutet, dass überall, wo sich Menschen austauschen, früher oder später Heranwachsende mit Erwachsenenthemen konfrontiert werden. Und dazu zählen eben auch Gewalt, Hass, Sexualität, Pornografie, Extremismus usw.

Die Klassiker im Netz, wo sexueller Missbrauch stattfindet, sind Webseiten mit zufällig ausgewählten anonymen Chatpartnern. Vor ein paar Jahren gab es zum Beispiel die Plattform Chatroulette. Neu in diesem Bereich ist Omegle. Hier kam bei einem Selbstversuch einer Journalistin beispielsweise heraus, dass circa jeder sechste Kontakt mit einem Penisbild verbunden war.

Die aktuelle Umfrage von EU Kids Online hat wiederum herausgefunden, dass die häufigste Plattform für Cybergrooming WhatsApp ist. Hier brauchen Täter lediglich die Handynummer eines Kindes oder Jugendlichen und können sie dann, ohne zu fragen, direkt in irgendwelche Gruppen einladen, wo eindeutige Absichten verfolgt werden.

Weitere bei Tätern beliebte Plattformen sind soziale Netzwerke wie TikTok, Instagram, Snapchat oder YouTube. Besonders die bildbasierten Netzwerke wie Instagram laden dazu ein, dass man viele Komplimente für das Aussehen bekommt. Täter können über diesen Weg ein Vertrauensverhältnis aufbauen.

Cybergrooming: Hier findest du Hilfe

Für Opfer von Cybergrooming und sexuellem Missbrauch im Netz gibt es diverse Anlaufstellen, die anonym und schnell helfen können:

  • N.I.N.A e.V.: Beratung für Jugendliche und Eltern unter anderem bei Cybergrooming, Cybermobbing, Sexting, Zusendung von Pornos.
  • Die Nummer gegen Kummer hilft Eltern und Heranwachsenden bei Sorgen oder Belästigungen im Netz. Für Kinder und Jugendliche: 11 61 11. Für Eltern: 0800 111 05 50 (kostenfrei, anonym).
  • Opfertelefon des Weißen Rings: 116 006 (bundesweit, kostenfrei, anonym. Sieben Tage die Woche von 7 bis 22 Uhr.)
  • Jugendschutz.net: Hier können Cybergrooming sowie jugendgefährdende Inhalte gemeldet werden.
  • Hilfetelefon Sexueller Missbrauch (des Bundes): 0800 22 55 530 (kostenfrei, anonym)

Haben die Täter spezielle Maschen?

Ja, wichtig ist zunächst, irgendwie ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Dies geschieht meistens über Komplimente und Schmeicheleien, auf die Kinder und Jugendliche gerne eingehen, da sie auf der Suche nach Likes und Aufmerksamkeit sind. Das bietet den Tätern eine große Angriffsfläche. Außerdem gibt es einige Standardsätze, die oft genutzt werden:

  • „Du hast ein süßes Profilbild“,
  • „Ich hätte da ein paar Kontakte“,
  • „Alle machen das“,
  • „Schick mir doch Fotos von dir“,
  • „Sei doch kein Spielverderber“ usw.

Im Games-Bereich ist es zudem oft so, dass Täter Kindern Versprechungen machen, wenn sie dafür im Gegenzug Bilder zugeschickt bekommen. Sie locken zum Beispiel damit, die Kinder in Clans oder Gilden aufzunehmen, wo sie sich selbst nicht hinspielen konnten. Oder versprechen Skins bei Fortnite, die sie sich sonst durch wirkliches Geld kaufen müssten.

Gibt es Kinder und Jugendliche, die dafür besonders anfällig sind?

Die gibt es durchaus. Kinder, die im normalen Leben wenig Zuneigung aus dem Elternhaus bekommen oder Schwierigkeiten in der Schule und wenig soziale Kontakte haben, suchen sich die Aufmerksamkeit oft woanders. Auch bei Kindern, deren Eltern häufig abwesend sind, spielt die Suche nach einer erwachsenen Vertrauensperson eine Rolle.

Darüber hinaus kommt es auf die individuelle Online-Erfahrung beziehungsweise Medienkompetenz an. Halten Eltern ihre Kinder so lange wie möglich vom Internet fern oder begleiten sie nicht bei den ersten Schritten, mangelt es ihnen einfach an der nötigen Erfahrung. Dadurch kommt es zu einem mangelnden Problembewusstsein. Dem Kind fehlt das natürliche Bauchgefühl, gewisse Situationen im Netz als komisch zu empfinden.

Was charakterisiert den „klassischen“ Online-Täter?

Das ist schwer zu sagen. Man weiß aus dem Bereich des Kindesmissbrauchs oder der Pädophilie, dass nicht alle Täter, die als pädophil gelten, sofort Straftäter sind. Auf der anderen Seite geht es auch nicht immer um sexuelle Vorlieben, sondern oft auch um die Ausübung von Macht. Menschen, die Kontakte zu Kindern suchen, sehen diese nicht unbedingt als sexuelle Präferenz. Sie brauchen sie eher, um Macht auszuüben, da dies bei Kindern ziemlich einfach ist.

Darüber hinaus gibt es Täter, deren Motive rein wirtschaftlicher Natur sind. Sie bewegen sich zum Beispiel in bestimmten Netzwerken, wo man Aufnahmen von Kindern zu Geld machen kann.

Wird in Deutschland genügend Aufklärungsarbeit geleistet und Medienkompetenz vermittelt?

In diesen Bereichen wird definitiv noch nicht genug getan. Das liegt auch daran, dass bei den Erwachsenen nach wie vor sehr viel Unwissen herrscht. Natürlich gibt es medienpädagogische Referentinnen und Referenten, die an Schulen gehen und dort Aufklärungsarbeit leisten können. Aber früher oder später muss diese Aufklärung fester Bestandteil in den Schulen werden.  Das gilt allerdings für viele Jugendmedienschutzthemen, die fächerübergreifend über die Jahrgänge hinweg Thema sein müssten, wie zum Beispiel:

  • Cybermobbing-Prävention in der fünften Klasse
  • Umgang mit Social Media und dem Smartphone in der sechsten Klasse
  • Fake News und Recherchekompetenz in der siebten Klasse
  • Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken und Cybergrooming in der achten Klasse
  • Internetpornografie in der neunten Klasse

Das alles sind Dinge, denen Jugendliche in ihrem täglichen Leben begegnen. Dennoch wird darüber in den Schulen zu wenig gesprochen.

Wie können Eltern ihre Kinder für die Gefahren im Netz sensibilisieren und vor ihnen schützen?

Zunächst sollten sich die Eltern fragen, wann ihr Kind überhaupt reif genug ist, ein eigenes Smartphone zu besitzen. Im Vorfeld können bereits einige Fragen geklärt werden wie: „Was ist ein sicheres Passwort?“, „Welche Kosten können auftreten?“, „Wie verhalte ich mich in Chat-Situationen?“

Anschließend gilt es, das Smartphone kindgerecht einzustellen. Bei einem PC wiederum sollten Eltern ihrem Kind ein eigenes Benutzerkonto einrichten und als Startseite eine Kindersuchmaschine statt Google nehmen. Auf dem Portal Medien kindersicher können sich Eltern umfangreich über technische Schutzlösungen für die Geräte, Dienste und Apps ihrer Kinder informieren. Hier erfahren sie zum Beispiel, wie man WhatsApp so einstellt, dass Bilder nicht automatisch heruntergeladen werden, oder wie man bei TikTok die Privatsphäreeinstellungen anpassen kann, sodass der Nutzerkreis eingeschränkt ist.

Generell ist wichtig, dass die Eltern sehr viel mit ihren Kindern darüber reden, was sie im Netz machen. Und dass sie ihnen das Gefühl geben, sich jederzeit an sie wenden zu können, ohne befürchten zu müssen ihr Smartphone abzugeben.

Zusammen sicher im Netz

Weitere umfangreiche Infos zu Cybergrooming bietet die Initiative „Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht“. Hier bekommen Eltern und Erziehende hilfreiche Tipps, um die Mediennutzung ihrer Kinder sicherer zu machen.

Dazu zählt beispielsweise auch eine nützliche Checkliste, um zu prüfen, ob ein Kind fit für das erste eigene Smartphone ist. Die AOK Baden-Württemberg ist Partner der Initiative.

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    veröffentlicht am 21.02.2022
    AOK-Expertin „Psyche und Seele“

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