#Alter am 19.12.2022 aktualisiert am 20.12.2022

Reden hilft – wie Pflegekräfte und pflegende Angehörige ihren Alltag meistern

Eine Pflegekraft sitzt mit einer älteren Dame an einem Tisch und unterhält sich mit ihr bei einem gemeinsamen Kaffee.
iStock / Kupicoo

Wie schaffen es sowohl privat als auch beruflich Pflegende, neue Kraft für die täglich anfallenden Herausforderungen zu schöpfen? Über diese und andere Fragen sprechen wir im Interview mit Pflegebotschafterin Susanne Jost.

Insbesondere in der Pflege von Angehörigen entstehen oft Frustration, Trauer oder Schmerz. Häufig sind auch Unsicherheiten aufgrund des fehlenden Wissens im Spiel. Aber auch beruflich Pflegende werden durch Zeitmangel, Überlastung und Angst, den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein, herausgefordert.

Darüber sprechen wir mit Resilienzberaterin und Pflegebotschafterin Susanne Jost, die seit 34 Jahren als Gesundheits- und Krankenpflegerin im RKH Krankenhaus Mühlacker tätig ist und langjährige Erfahrung als Palliative-Care-Fachkraft und in der Überleitungspflege hat. Im Interview berichtet sie von ihrem Arbeitsalltag, den täglichen Herausforderungen und wie sich sowohl Pflegekräfte als auch pflegende Angehörige einander unterstützen können.

RKH Enzkreis-Kliniken

Frau Jost, wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Meine Aufgaben gegenüber den Patienten haben sich nicht geändert. Der ganzheitliche pflegerische Ansatz steht weiterhin im Mittelpunkt. Die Aufgaben einer Pflegefachkraft sind vielfältig und komplex, weil jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit gesehen werden möchte.

Gerade ethische Fragen beschäftigen Patienten und Pflegefachkräfte gleichermaßen. In diesem Fall nehme ich Kontakt mit Patienten oder ihren Angehörigen auf. Zudem bin ich heute in meiner Funktion als Vorsitzende des Ethik-Komitees in der Krisenbegleitung tätig.

„Kraft schöpfen und Kraft geben“ ist die große Herausforderung in der heutigen Zeit. Wir werden täglich von negativen Nachrichten und komplexen Herausforderungen überhäuft. Man bekommt den Eindruck, als gäbe es nichts Gutes mehr, über das berichtet werden kann.

Eine wertvolle Quelle der Kraftschöpfung für die Seele bietet die Resilienz. Seit etwa einem Jahr gebe ich als offizielle Resilienzberaterin monatlich entsprechende Seminare für das Krankenhauspersonal. Bei Bedarf führe ich auch Einzelgespräche – als systemische Beraterin ebenso im privaten Bereich. Entweder per Telefon oder persönlich in meinem Büro hier im Krankenhaus. Darüber hinaus arbeite ich als Pflegebotschafterin.

Was genau macht eine Pflegebotschafterin?

Ich bin ein Bindeglied zwischen den externen Bereichen, welche die Patienten nach ihrem Krankenhausaufenthalt aufsuchen. Dazu zählen Pflegeheime, Pflegedienste oder Rehakliniken. Im Vordergrund stehen dabei die Vernetzung, der Aufbau und die Pflege von Kooperations- und Koordinationsstrukturen im sozialen und gesundheitlichen Bereich.

Zu meinen Hauptaufgaben gehören hierbei Treffen mit unseren Netzwerkpartnern im gesamten Enzkreis, um die Gestaltung der Zusammenarbeit auf Basis der aktuellen Nachfrage- und Angebotssituation in der Pflege zu optimieren. Eine große Rolle spielt bei meiner Tätigkeit zudem, wie das Entlassmanagement verbessert werden kann.

Inwieweit haben Pflegekräfte Kontakt zu Angehörigen?

Tatsächlich sind Pflegekräfte meistens die einzigen Ansprechpartner für die Angehörigen. Zum einen sind sie die wichtigsten Personen, um Informationen weiterzugeben. Zum anderen können Angehörige ihren Frust und ihre Sorgen bei ihnen ablassen. Gerade Letzteres hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen.

Wie geht man als Pflegekraft damit um?

Man versucht natürlich, immer freundlich und direkt zu bleiben. Oft lässt sich die individuelle Situation der Betroffenen nicht ändern. Dennoch kann man als Ansprechpartner schon etwas erreichen, indem man einfach nur zuhört. Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit lassen Betroffene Dinge sagen, welche der Situation geschuldet sind.

Der Umgang damit, ist eine der zahlenreichen Herausforderungen im Umgang mit Patienten und deren Angehörigen. Wichtig bei allem ist die gegenseitige Wertschätzung und der Respekt in diesem doch schönen und erfüllenden Beruf.

Wie tankt man Kraft für diese Arbeit? Was hilft Ihnen, belastende Situationen zu meistern?

Ich persönlich habe einen großartigen Freundeskreis, eine tolle Familie und einen Hund. Mit diesem gehe ich nach der Arbeit immer in der Natur spazieren, um den Kopf freizubekommen. Daraus schöpfe ich neue Kraft. Früher konnte man sich oft noch mit Kolleginnen und Kollegen über belastende Themen austauschen. Mittlerweile fehlt dafür jedoch meistens die Zeit. Daher lädt jeder für sich seine Akkus auf unterschiedliche Art und Weise auf.

Können sich Pflegende heute überhaupt noch gegenseitig entlasten?

Der Wunsch diesbezüglich ist definitiv da. Es kommt immer darauf an, in welcher Situation man sich befindet. In einem guten Team gehört es dazu, zu fragen, ob man helfen und unterstützen kann. Das wird auch immer noch gemacht. Allerdings sind viele im Arbeitsalltag oft so fest eingespannt, dass das miteinander Reden leider oft zu kurz kommt.

Aber wenn es die Zeit erlaubt, macht man es natürlich gerne und es tut gut. Als Resilienzberaterin bin ich deshalb auch dafür da, um eben dieses Bewusstsein zu schaffen, dass jeder auf seine Ressourcen achtet. Es ist absolut in Ordnung, zu fragen und um Hilfe zu bitten.

Die Online-Pflegekurse und Pflegeberatung der AOK Baden-Württemberg

Zusätzlich zu den Präsenz-Pflegekursen bietet die AOK Baden-Württemberg verschiedene Online-Pflegekurse an, die durch die wichtigsten Themen der Pflege führen und hilfreiche Tipps für den Pflegealltag geben. Zu den weiteren Inhalten der Kurse zählen unter anderem Informationen und praktisches Wissen zu den Themen Wohnen und Pflege im Alter, der Umgang mit Alzheimer und Demenz sowie Selbstfürsorge im Pflegealltag durch Achtsamkeit:

Zu den Online-Pflegekursen

AOK-Versicherte, die einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung stellen oder bereits Pflegeleistungen erhalten, haben zudem einen Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch einen Pflegeberater oder eine Pflegeberaterin.

Auf Wunsch des Pflegebedürftigen können auch pflegende Angehörige oder andere Personen die Pflegeberatung in Anspruch nehmen. Denn wenn ein Angehöriger oder eine Angehörige pflegebedürftig wird, stellen sich plötzlich viele Fragen rund um seine Versorgung. Die Pflegeberater und Pflegeberaterinnen der AOK helfen dabei, die Pflege bestmöglich zu gestalten und zu organisieren.

Zur AOK-Pflegeberatung

Wie können sich auf der anderen Seite pflegende Angehörige gegenseitig unterstützen?

Für pflegende Angehörige ist die Situation eine immer größere Herausforderung, wie ich in den letzten Jahren gemerkt habe. Die Belastung für sie ist riesig und die wenigsten wissen, dass sie Hilfe in Anspruch nehmen können. Sowohl in Bezug auf Beratung als auch in Bezug auf finanzielle Mittel.

Untereinander findet daher zwar schon ein gewisser Informationsaustausch statt. Aber dieser ist meistens sehr begrenzt, da es kaum Angehörige gibt, die wirklich gut informiert sind. Sie wissen oft gar nicht, wo sie überhaupt hingehen sollen mit ihren Anliegen. Hier besteht meiner Meinung nach noch ein großer Aufklärungsbedarf.       

Was würden Sie in der Pflege gerne ändern? Welche Wünsche haben Sie an die Politik und Gesellschaft?

In erster Linie wünsche ich mir hierzulande eine höhere Wertschätzung für die Pflegekräfte. Zudem ist es wichtig, dass in der Versorgung der Mensch wieder im Mittelpunkt steht und nicht der „Fall“. Das Pflegepersonal benötigt mehr Zeit, um sich um die Patientinnen und Patienten wirklich kümmern zu können – so wie man es eigentlich früher auch mal gelernt hat. Zusammengefasst: Pflegekräfte müssen wieder „pflegen“ können.

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    veröffentlicht am 19.12.2022 aktualisiert am 20.12.2022
    AOK-Expertin Sozialer Dienst

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